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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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ertragen?
    LIAO YIWU:
    Durchfall und Essensentzug, das kann man ja kaum aushalten.
    LI HONGQI:
    Aber es bringt einen auch nicht um. Die Gefängnisverwaltung weiß ganz genau, je mieser die Leute, umso weniger sind sie umzubringen. Und selbst wenn einer draufging, na und? Der wurde doch auch wie ein Batzen Dünnschiss weggeschaufelt. Das war ein Sommer. Die Hitze, der Hunger, die Scheißerei, die kleinen Zellen, die vielen Idioten, wir hatten alle die Krätze, es stank nach Fürzen, wenn einer krank wurde, war im Handumdrehen die ganze Truppe krank. Wie zum Beispiel bei der Krätze, erst hat einer angefangen, sich zu kratzen, und im Handumdrehen hat die ganze Truppe sich gekratzt wie wild, die Hautschuppen sind nur so durch die Luft geflogen. Und auch Läuse waren reichlich unterwegs, also kam alles mitten in der Nacht hoch und hatte zu tun. Und so litten wir vor uns hin, es nahm kein Ende, bis dann eines Tages meine Anklageschrift von oben gesegelt kam und anderthalb Monate später meine Urteilsbegründung.
    LIAO YIWU:
    Welcher Gerichtshof?
    LI HONGQI:
    Der Gerichtshof vom Bezirk Haidian. An dem Tag, an dem sich das Gericht bis zur Urteilsverkündung vertagte, war die Hölle los, sie haben gut ein Dutzend Rowdys in einen kleinen Raum gepfercht, der hohe Richter wollte nicht viele Worte machen, der Gerichtspolizist hat jedem von uns ein Papier in die Hand gedrückt, wie lange jeder bekommen hat, konnte man darauf lesen. Dann wurden wir der Reihe nach gefragt: Revisionsantrag?
    Gut, ich stelle einen Revisionsantrag.
    Einen Scheißdreck stellst du! Zur Seite treten.
    Dann wurde der Nächste gefragt: Und du? Revision?
    Nein.
    Es geht doch, du kannst gehen.
    LIAO YIWU:
    So willkürlich?
    LI HONGQI:
    Dann kam ich an die Reihe, da ging es nicht so willkürlich. Der Gerichtspolizist sagte kalt lächelnd, Augenblick, wir machen für dich die Kaderkantine auf. Obwohl ich am ganzen Leib zitterte wie Espenlaub und das absolut nicht wollte, haben sie mich doch allein in ein Konferenzzimmer gebracht. Der Richter und der Protokollant wurden lange sehnlichst erwartet, die Urteilsbegründung war genauso lang wie erstunken und erlogen, ich stand da, mir brummte der Schädel, bis der Ausdruck »zwanzig Jahre« fiel, da hörte das Brummen auf, ich war wie vom Donner gerührt, und dann trat Stille ein. Der Gerichtspolizist stieß mich ein paarmal an, damit ich das Dokument unterschreibe, ich nahm den Stift, geistesabwesend, ich konnte mich nicht einmal mehr an den eigenen Namen erinnern. Zwanzig Jahre, verdammte Scheiße, für was denn? Zwanzig Jahre, verdammte Scheiße, alles aus und vorbei. Mir war zum Heulen, aber ich konnte nicht. Der Richter kam um den Tisch herum, baute sich vor mir auf und machte mir Mut: Der Druck ist noch sehr groß, vielleicht müssen Sie ja nicht die ganze Zeit absitzen. Sie sind noch jung, Sie können die Zeit im Zuchthaus nutzen, lernen Sie etwas.
    Ich gab keinen Ton von mir, und er hat mir eine Zigarette angeboten. Verdammt, zwanzig Jahre für eine Zigarette.
    LIAO YIWU:
    Welches Vergehen?
    LI HONGQI:
    Acht Jahre für konterrevolutionäres Herumstreunen, zehn Jahre für Raub, drei Jahre für die Entwendung von Gewehrmunition. Die Gesamtstrafe für die verschiedenen Vergehen belief sich auf einundzwanzig Jahre. Die wurden auf zwanzig abgerundet.
    LIAO YIWU:
    Gab es irgendwelche Beweise? Hatten Sie keinen Anwalt?
    LI HONGQI:
    In einer Situation, in der sie die Menschen umbrachten wie die Fliegen, hatte kein Anwalt den Mut, für Rowdys einzutreten. Vielleicht wäre die ganze Familie eines Anwalts in Sippenhaft genommen worden.
    LIAO YIWU:
    Richtig, richtig. Wenn ich an damals denke, mein Verteidiger hat der Regierung das Wort geredet.
    LI HONGQI:
    Ich hatte auch nicht den Mut, Berufung einzulegen, aus Angst, sie würden die Strafe noch um eine Stufe verschärfen und mir die Rübe runterhauen. Zurück im Untersuchungsgefängnis war ich vollkommen am Boden zerstört, ein paar von den Knasttyrannen haben mich, um sich bei der Verwaltung lieb Kind zu machen, gezwungen, die »Gefängnisregeln« auswendig zu lernen. Sofort war ich auf hundertachtzig und habe mich mit ihnen herumgeprügelt. Mit dem Resultat, dass ich die Wärter aufgeschreckt habe. Die haben mir Hand- und Fußfesseln angelegt. Ein paar Tage später dann haben sie mich ins Beijinger Nr. 1 verlegt und mich sofort in eine Kleinzelle verfrachtet, zum In-mich-Gehen. Das war erst ein Dreckloch! Drei auf zwei Meter, ich bin da hineingekrochen, direkt aufs

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