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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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hatte, war ich wie vor den Kopf geschlagen. Anschließend haben Lian Zhengguo und Li Zexi fünfzehn Jahre bekommen; und dann gab es dreizehn Jahre, acht, fünf und dreieinhalb Jahre. Außer den Einheimischen gab es noch Fälle von Leuten aus Shanghai und Jiangsu, die alle waren da hineingeraten, hatten sich zu irgendeinem hitzigen Wort oder einer hitzigen Tat hinreißen lassen und waren erwischt worden. Der Richter sagte leise, die nationale Großlage verlange das, man müsse tun, was oben verlangt werde, wenn wir das nicht täten, könnten wir unsere Roben ausziehen und nach Hause gehen. Ich sagte, eh egal.
    Neujahr 1990 habe ich im Untersuchungsgefängnis verbracht, dann bin ich in eine Arbeitszelle im K-Gebäude verlegt worden, einen Monat später kam ich ins Nr. 1 von Beijing, dort habe ich eine ganze Reihe von Rowdys vom 4 . Juni gesehen, jede Menge Tod auf Bewährung und lebenslänglich, es war also auch bei mir alles im Lot. Wieder gingen acht Monate ins Land, dann wurden wir kollektiv in den Kreis Tong verlegt, ins Nr. 2 , das ist ein sogenanntes modernisiertes Gefängnis. Dort gibt es elektronische Überwachung, vorher war das ein verlassener Friedhof gewesen; als wir kamen, sind wir noch oft über menschliche Knochen gestolpert.
    LIAO YIWU:
    Sie haben einiges durchgemacht, nicht?
    WANG LIANHUI:
    Prügel, ich habe Prügel bezogen. Jedes Mal, wenn man irgendwo neu hinkam, wurde man geprügelt. Wenn man jung ist, ist man nichts wert, Hauptsache, sie schlagen einen nicht zum Krüppel, dann berappelt man sich langsam wieder. Die ersten zwei, drei Jahre hat man noch auf die Rehabilitierung des 4 . Juni gewartet, wir haben uns gelegentlich zusammengefunden und das Neuste vom Neuen ausgetauscht. Aushalten, aushalten, vier, fünf, sechs Jahre; die Kommunistische Partei saß mittlerweile immer fester im Sattel, einige haben den Kopf hängen lassen, aber man musste eisern seine Zeit absitzen. Ich konnte auch nichts anderes und konzentrierte meine Kraft auf die Arbeit und versuchte, ein paar Jahre erlassen zu bekommen. Und wenn es noch so bitter, erschöpfend und schmutzig ist, man kann alles aushalten, aber das Essen da drin, immer dasselbe, wie die Tage. Getreidemehl, schwarzes Mehl, Mischmehl, immer wieder dasselbe. Die Zeitungen draußen haben das ans Licht gebracht, die haben diese üblen Getreidehändler gefunden, die in das abgelaufene, modrige Mehl irgendwelche chemischen Sachen reingetan haben, dass es sofort frisch aussieht, und es dann auf dem Markt en gros verkauft haben. Wir im Arbeitslager haben vor allem so ein Zeug bekommen, das fiel auseinander, aus dem konnte man keinen Teig kneten, aber sonderbarerweise hat sich keiner vergiftet. Und das Gemüse, das bestand aus vergammelten Kartoffeln und vergammeltem Chinakohl, die haben nur das Billigste gekauft, sogar das Zeug, das sie beim Saubermachen der Märkte zusammengekehrt haben. Zu sagen, sie haben es nicht gewaschen, würde ihnen Unrecht tun, aber »waschen«, das hieß einmal mit dem großen Wasserrohr drüber, dann kleingehackt und dann im Gemüsesieb zum Ofen und in den Topf, einmal mit einer Schaufel umgerührt, dann ein paar Spritzer Öl drüber und zwei, drei Prisen Salz. Das ist, was wir lange Zeit zu essen bekamen. Ich schätze, die Schweine von heute würden das nicht fressen, die Schweine von heute bringen das aus Abfall gewonnene Fett nicht runter. Einmal haben wir in unserem Gemüsekübel eine große Maus entdeckt, die Knochen waren verkocht, aber die Haut war noch ganz. Ein paar von uns sind ganz schlecht draufgekommen und haben die Verwaltung angegriffen; andere haben geklatscht, von wegen, das sei jetzt aber eine Verbesserung der Verpflegung, es sei doch eine Rarität, dass man in unserer Wassersuppe Fleisch entdecken würde.
    Das kann man schwer in einem Wort alles beschreiben. Im Mai 2005 bin ich dann endlich entlassen worden. Ich war sechzehn Jahre und vier Monate in Haft, ein einziger Albtraum, ich stand mit leeren Händen da, war achtunddreißig Jahre alt, hatten jeden Anschluss an die Gesellschaft verloren, es war unerträglich, verdammt, es wäre besser gewesen, sich umzudrehen und wieder zurückzugehen.
    LIAO YIWU:
    Zur besten Zeit sind Sie umerzogen worden, zu einem »neuen Menschen«.
    WANG LIANHUI:
    Zu Ausschuss. Und zu einer Last für die Familie.
    LIAO YIWU:
    Geht es Ihren Eltern noch gut?
    WANG LIANHUI:
    Mein Vater ist 1990 gestorben, meine Mutter 2002 . Ich habe sie nicht, wie es sich für einen Sohn gehört hätte, bis

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