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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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zum Ende begleiten können, ich wusste nicht einmal, ob sie noch da sind. Als ich nach Hause kam, bin ich zu den Fotos meiner beiden alten Herrschaften gestürzt und habe Rotz und Wasser geheult. Ich habe ältere und jüngere Geschwister, ich hänge zwischen ihnen wie der letzte Mensch, ganz am Anfang habe ich abwechselnd bei ihnen gegessen. Eigentlich hatten Vater und Mutter meinem jüngeren Bruder und mir ihr altes Haus zu gleichen Teilen hinterlassen, aber mein Bruder hat sich das unter den Nagel gerissen und rückt nichts heraus, also musste ich für dreihundert Yuan außerhalb ein Zimmer mieten.
    LIAO YIWU:
    Im Bereich der eigenen Familie auch noch ein Zimmer mieten?
    WANG LIANHUI:
    Mir blieb keine andere Wahl. In den über zehn Jahren hat sich die Gesellschaft sehr verändert. Von den achtzehn Produktionsteams unter dem einheimischen alten Palastdorf war kein einziges mehr da. Die von der Kommune und Brigade geführten Unternehmen waren längst spurlos verschwunden, der Ackerboden ist von den zuständigen Beamten längst verkauft worden, und weil diese Reisschale, die seit Generationen weitergegeben worden war, nicht mehr existierte, mussten die traditionellen Bauern »sich einen anderen Lebensunterhalt suchen«. Die Erwerber haben an jeden Haushalt jeden Monat fünfhundert Yuan Unterhalt bezahlt, nach den Bestimmungen der Wohnungsverwaltung bekam dieses Geld nicht, wer eine Wohnung nur gemietet hatte, also blieb mir nichts, als das Haus meiner Schwester als Wohnsitz anzugeben.
    LIAO YIWU:
    Fünfhundert Yuan, war das Ihr ganzes Monatseinkommen?
    WANG LIANHUI:
    Das Produktionsteam hat mir einen Niederlassungszuschuss von achthundert gezahlt. Und jetzt habe ich neben den genannten fünfhundert noch fünfhundert Lohn.
    LIAO YIWU:
    Was für eine Arbeit?
    WANG LIANHUI:
    Ich bin für die Beseitigung des Mülls im ganzen alten Palastdorf zuständig. In diesen Jahren lacht man über die Armen, nicht mehr über die Pufflouis, wer will keinen BMW fahren oder einen Benz? Eine Hure, die kann runter sein wie ein alter Bus, den schon alles bestiegen hat, was Beine hat, sobald sie in einem BMW oder Benz sitzt, bekommen die Leute Stielaugen. Und einem Rowdy vom 4 . Juni wie mir, dem wird alles vorenthalten, auch wenn sie bei dem Nachbarschaftskomitee zu mir gesagt haben, Lianhui, du bist ein anständiger Kerl, du hast nicht gestohlen, du hast niemanden über den Tisch gezogen, du bist für nichts ins Kittchen gekommen, ähäm, wir sind im Bilde.
    LIAO YIWU:
    Erwarten Sie eine Rehabilitierung des 4 . Juni?
    WANG LIANHUI:
    Nein, das erwarte ich nicht. Ich habe jetzt Frau und Kind, ein solides Auskommen, das ist wichtiger als alles andere. Die Geschichte, das ist alles Lug und Trug, es schert mich nicht. Was irgendwer in der Zukunft über mich sagt, das geht mir am Arsch vorbei. Ich nehme auch nicht irgendwie an Treffen von Rowdys vom 4 . Juni teil, ich geniere mich, mir fehlt das Selbstvertrauen, wenn sich da alle versammeln und Anteil aneinander nehmen, was soll ich da sagen? Dass ich den Müll wegkehre? Dass ich in einer Mietwohnung wohne? Dass ich mit tausend Kuai meine Familie durchbringe? Ich würde mich schämen! Aber ich darf mich auch nicht arm nennen, auch wenn ich arm bin bis auf die Knochen, ich will das stemmen. Für mein Kind, und es ist auch mein Kind, um dessentwillen ich mich nicht aufgeben darf.
    Ähäm, als Wu Wenjian mich heute kontaktiert hat, hätte ich eigentlich nicht kommen sollen, aber ihr habt die ganze Zeit gewartet, das war mir peinlich, deshalb bin ich dann doch gekommen. Jetzt habe ich eine Menge Unsinn geredet.

Li Hai,
politischer Häftling
    Beijing, Dashanzi, Kunstfabrik 798 , ein Fabrikgelände, in den 50 er Jahren einmal von der früheren Sowjetunion aufgebaut, ist im Lauf der Zeit verwahrlost, von Gras überwuchert und von wilden Hunden bevölkert worden. Doch jetzt ist es durch den Zuzug von einer Menge Avantgarde-Künstlern plötzlich zu einem Ort geworden, der zu internationalen Trends hinführt, wodurch auch die Wohnungspreise im Vergleich zu vor zehn Jahren um das mehr als Zehnfache gestiegen sind.
    Meine alten Kumpels, die Brüder Gao, haben hier ein Atelier, deshalb kann ich unter dem Vorwand, das zu besichtigen, Li Hai hier treffen.
    Es ist der 17 . Dezember 2005 , nachmittags um drei. Ich bin der Erste, dann stürzt eine große Gruppe in das Atelier der Brüder Gao. Mein Bekannter Yu Shicun und Wu Wenjian stellen uns einander vor wie die letzten Reiseleiter. Liu Di, die

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