Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
schriftlich, dass du ein Held bist, und kannst für das, was du erlitten hast, vom Staat materielle und ideelle Entschädigung verlangen – verlockende und, wenn man es bedenkt, auch zufriedenstellende Aussichten! Doch wir Mittäter, die wir zwei oder ein Jahr oder ein paar Monate gesessen haben, wir haben das Gleiche durchgemacht, aber wir wurden »durch Erziehung befreit«, ohne Resultat, nichts Schriftliches, und damit auch ohne Zukunft.
    LIAO YIWU:
    Ich hatte doch keine Wahl, kein Mensch sitzt für ein, zwei Gedichte freiwillig vier Jahre ab!
    LI QI:
    Und wofür habe ich gesessen?
    LIAO YIWU:
    Das ist mir alles ein Rätsel. Als wir damals das »Requiem« gedreht haben, habe ich mir von dir ein paar »Requisiten« geliehen, außerdem hast du uns mit ein paar hundert Kuai gesponsert und bist mit uns in den Tanzsaal der Fakultät für Fremdsprachen gegangen, um ein paar weibliche Darsteller auszusuchen.
    LI QI:
    Ich war nicht einmal ein ordentliches Mitglied des Ensembles, meistens stand ich nur als Statist am Rand herum, aber mir haben sie deswegen die Bude auf den Kopf gestellt, haben mich ins Untersuchungsgefängnis gesteckt. Ein halbes Jahr war ich da drin, mir hat es mehr als gelangt.
    LIAO YIWU:
    Außer sechs Kameraden, die ordentlich verhaftet worden sind, weiß ich wirklich nicht, wer da noch alles mit hineingezogen worden ist.
    LI QI:
    Du kennst dich im Knast besser aus als ich, deshalb will ich darüber auch nicht viele Worte machen. Kurz, ich bin abwechselnd über fast zwei Wochen hinweg verhört worden und habe ein paar Ohrfeigen von den zuständigen Leuten wegstecken müssen. Ich habe alles gestanden, ich habe einen ganzen Stapel von Material zu deiner Bloßstellung geschrieben. Ich hatte nichts im Sinn, als so schnell wie möglich raus da. Das Untersuchungsgefängnis war schauderhaft, auch wenn ich ein Politischer war, wurde ich doch den dort üblichen »Aufnahmeprozeduren« [4] unterzogen, musste neben dem Abtritt schlafen und war voller Läuse. Damals war mein Junge gerade ein Jahr alt, und meine Frau brauchte wirklich jemanden, der nach ihm sah. Ach, ein Desaster nach dem anderen, wenn man jetzt damit anfängt, es bleibt das reine Chaos.
    LIAO YIWU:
    Was dir passiert ist, ist Unzähligen passiert. Ich kenne Dutzende, die wegen irgendwelcher Parolen, die sie zur Unterstützung der Studenten gerufen haben, einer »Erziehung unterzogen« wurden. Im Jargon der Polizei hieß das, die erhitzten Gemüter der Bücherwürmer abkühlen. Gao Ertai, ein Professor der Pädagogischen Hochschule von Sichuan, ist desertiert, seine Studenten sind ebenfalls mit in die Sache hineingezogen und für ein paar Monate inhaftiert worden und haben nach ihrer Entlassung keine Arbeit mehr gefunden. Ich schätze, dass im Zusammenhang mit dem 4 . Juni landesweit mindestens einige Zehntausend auf die Reviere kamen für eine kurze Untersuchung, mehr als es 1957 Rechtsabweichler gab.
    LI QI:
    Im Grunde ist es nicht unbedingt von Nachteil, wenn man einmal im Leben so eine Erfahrung macht, aber der Preis, den ich dafür bezahlt habe, ist einfach zu hoch.
    LIAO YIWU:
    Ich habe gehört, Xiao Xiao hat sich von dir scheiden lassen?
    LI QI:
    Ich bin am 25 . Oktober 1990 rausgekommen, ein kalter Herbsttag, vorher hatte ich schon jemanden gebeten, ihr einen Brief zu überbringen; außerdem habe ich ein paar Freunden Bescheid gesagt, dass sie kommen sollten. Ich dachte, wenn ich schon kein Held bin, habe ich mir doch wenigstens nichts vorzuwerfen und eine gewisse Achtung verdient. Ich erinnere mich, als der Polizist die Gittertür aufmachte und rief: »Li Qi, zusammenpacken!«, hatte ich Krämpfe in den Beinen und wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Ich sagte: »Ich will nicht, ich will überhaupt nichts!«
    Als ich aus dem Haupttor kam, bin ich einen Abhang hinauf und kam zu einer großen Straße, die Sonne strahlte und machte einen wie die hin und her pendelnden Autos ganz schwindelig. Als ich über die Straße ging, kam ich mir vor wie ein tumber Bauer in irgend so einer Klamm, lief auf die andere Seite und stand eine halbe Ewigkeit da herum und schnappte nach Luft. Ich suchte ein öffentliches Telefon und rief im Warenhaus bei Xiao Xiao an, sie sollte zu Hause auf mich warten, da sagte sie auf einmal: »Ich bin noch bei der Arbeit.« Ich ärgerte mich und befahl ihr: »Nimm Urlaub, komm sofort nach Hause!« Sie zögerte ein paar Sekunden, bis sie sagte: »Na gut.« Mir wurde nicht bewusst, dass etwas nicht stimmte. Xiao

Weitere Kostenlose Bücher