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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Elternhaus, die ganze Verwandtschaft war da, meine Schwiegermutter hatte reichlich aufgetischt, alle saßen um den Esstisch herum und hielten einen Kriegsrat ab, jeder half mir mit einem Wort, einem Satz. Das ging in etwa so: »Li Qi, du bist jetzt ein Mann von dreißig Jahren, zieh die Lehre daraus, und mach dir eine gute Zeit.« Oder: »Deine Frau hat es nicht leicht gehabt, sie ist gedemütigt worden, sie hat sich ganz allein um das Kind gekümmert und auf dich gewartet, eine andere, hochnäsigere hätte längst die Gelegenheit genutzt und wäre auf einen anderen, höheren Ast geklettert.« Oder auch: »Ihr Studierten seid doch intelligente Leute, bestimmt kannst du zu Geld kommen, wir trinken auf den Reichtum von Li Qi!«
    Ich habe unentwegt nachgeschenkt, am Schluss bin ich unter den Tisch gefallen. Da haben sie mich aufs Bett geschleppt, und ich habe im Nebel noch eine Stimme sagen hören: »Wenn du darüber hinweg bist, fällt es dir leicht, in den Kampf zu ziehen, verwende deine Intelligenz in Zukunft auf das Geldverdienen statt auf das Schreiben von Gedichten.«
    LIAO YIWU:
    Die Worte scheinen angekommen zu sein, du bist heute ein erfolgreicher Buchhändler.
    LI QI:
    Genauso gut könnte ich auf den Strich gehen.
    LIAO YIWU:
    In den 80 ern Literatur, in den 90 ern Geschäfte, das ist der Lauf der Dinge.
    LI QI:
    Schon. Als am 4 . Juni die Schüsse fielen, wurden viele aus ihren Träumen aufgeschreckt, dieses Land konnte man nicht lieben, Gedanken und Literatur auch nicht, nur mit Geld konnte man das Vaterland, die Klassen und die Literatur überwinden, nur Geld konnte man mit ganzem Herzen lieben.
    LIAO YIWU:
    Wenn man dir zuhört, klingt noch eine ganze Menge Unzufriedenheit mit der Welt mit.
    LI QI:
    Wer will nicht schon stinkreich zur Welt kommen? Am Anfang habe ich keine Arbeit gefunden; ’ 91 , ’ 92 waren die Ansichten der Leute noch nicht so offen. Wenn sie hörten, dass einer mit den Unruhen zu tun gehabt hat, haben sie nicht den Mut gehabt, ihn einzustellen. Ich habe mir den Mund fusselig geredet, habe ihnen den »Justizirrtum« erklärt, aber es hieß immer, nur mit Empfehlungsschreiben von den Sicherheitsbehörden. In Chongqing haben Untergrundparteien Tradition, wenn die Leute etwas trinken, du einen, ich einen, dann wirken sie aufrichtig, aber sobald es von dem weinseligen Gerede weg zu Taten kommt, dann sind sie zaghaft und vorsichtig. Auf diese Weise habe ich mehr als ein halbes Jahr vertan, Xiao Xiao hat den Vorschlag gemacht, mit Schreiben Geld zu verdienen, weil ich früher doch Gedichte geschrieben und eingereicht und noch alte Beziehungen und einen guten Namen hätte. Also habe ich mit zwanzig, dreißig Zeitschriften im ganzen Land Kontakt aufgenommen – Resultat: Viele Redakteure von damals waren noch da, ein paar krebsten als stellvertretende Chefredakteure vor sich hin, andere waren Chefs geworden.
    So begann meine düstere Karriere als Schreiberling. Ich legte mir sieben, acht Pseudonyme zu, und dann ging es auf der Grundlage meiner Fähigkeiten, die ich mir damals bei dem Verfassen von Gedichten angeeignet hatte, los; ich schrieb Artikel zu allen möglichen Themen. Am Anfang waren meine Anforderungen an mich selbst relativ streng, ich legte jedes Wort und Zeichen auf die Goldwaage und beschränkte mich auf den Bereich Kultur, wie etwa lyrische Prosa, nachdenkliche Essays, Buchkritiken, Kurzgeschichten und Erzählungen. Ich schaffte im Monat höchstens zwei, drei Texte, an die zehntausend Schriftzeichen [5] , aber alles vergebene Liebesmüh, die Manuskripte kamen immer wieder zurück.
    Xiao Xiao schlug vor, ich solle nicht immer nur reine Literaturzeitschriften im Auge haben, bei dem Geschäft zahle man nur drauf. Du schreibst dir das Herz aus dem Leib, und dann bekommst du für tausend Zeichen gerade einmal dreißig Yuan, wenn du so weitermachst, kriegen wir den Kleinen nie groß, dann brauchst du alle Kraft, nur um die Stellung zu halten.
    Ich sagte, aber das sei es, was ich könne.
    Xiao Xiao meinte, schreib ein paar Geschichten, wie sie heute Mode sind, schick sie an Illustrierte, Mode, Kosmetik, Liebesschnulzen und Herzschmerz, Hauptsache, es bringt was ein.
    Ich sagte, das könne ich nicht.
    Xiao Xiao erwies sich als würdige und aufgeklärte Lehrerin, am gleichen Abend noch schrieb sie auf einen Rutsch drei Texte mit ein-, zweitausend Zeichen über Kosmetik, irgendwas wie: »Warum ich mir keine Sorgen mache über das Alter«, »Zwölf Erfolgsgeheimnisse gegen Falten«,

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