Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
und einen warmen Herd. Und ich verfluchte dich immer wieder, Liao Yiwu, und deine Ahnen bis ins achte Glied. Bei Tagesanbruch bemerkte ich, wie sie milder wurde, und versuchte, sie herumzukriegen. Aber sie bewegte sich in meinen Armen wie ein Stück Holz. Gleich anschließend schob sie mich weg und ging ins Bad. Und ich bin wie ein Trottel lächelnd um sie herumgewieselt, bis sie sich genervt umdrehte und meinte: »Du hast überhaupt kein Gefühl, du tust mir leid, Li Qi.«
    LIAO YIWU:
    Sie hat dich absichtlich verletzt, ach, Xiao Xiao, was ist aus dir geworden!
    LI QI:
    Das hat alles mit dir zu tun. Erinnerst du dich noch an die Briefe, die wir uns nach dem 4 . Juni geschrieben haben?
    LIAO YIWU:
    Nicht wirklich.
    LI QI:
    Irgendwas hatte dich gebissen, du hast den Verstand verloren und nicht nur die CD mit dem »Massaker« mit zu uns nach Hause gebracht, du hast auch in deinen Briefen bis zum geht nicht mehr über die Kommunistische Partei hergezogen und wolltest angeblich den Deng Xiaoping mit dem höchsten und gröbsten Schornstein der Welt in den Arsch ficken; du hast davon geredet, dass du abhauen willst, dass du dich lieber mit Ruß zuschmieren und als Schwarzer nach Afrika zum Zuckerrohrhacken verkaufen lassen würdest, als weiter als Chinese in dieser Schande zu leben. – Später ist das unerträgliche Zeug samt dem riesigen, zum Himmel ragenden Pimmel, den du über die ganze Seite gemalt hast, in die Hände der Polizei geraten. Als ich reinkam, habe ich kein Wort gesagt, aber Xiao Xiao ist mit da hineingezogen worden, hat über zehn Tage in einer Zelle gehockt und ist fast jeden Tag verhört worden. Stell dir eine kleine Frau vor, naiv und voll erblüht, sie studiert, sie ist berauscht von der Literatur, sie schreibt, nachdem sie mich geheiratet hat, fast jeden Tag ein Liebestagebuch, aber innerhalb von einer Nacht wird der Traum zerstört. Sie wird in eine Zelle für weibliche Gefangene gesperrt, um sie herum nichts als Huren, verdorbene Diebinnen, Zuhälterinnen, Perverse und Rauschgiftsüchtige, die die Neue quälen und dabei noch weniger zimperlich sind als die Männer; sie versengen einem die Vagina, klemmen die Brustwarzen mit Stäbchen ein, schlagen mit Leisten gegen das Gesäß, und so weiter uns so fort, das erschreckt eine Xiao Xiao so sehr, dass sie den ganzen Tag nur noch heult und fast den Verstand verloren hätte.
    Nachdem sie das durchgemacht hat, hat sich ihre Lebensanschauung von Grund auf verändert. Sie hasst mich, und sie hasst dich, die Wurzel allen Übels, noch mehr. Frauen sind schwer zu fassende Lebewesen, sie hatte sich auf einmal in den Kopf gesetzt, mich zu ändern. Zuerst hat sie die seltsamen Klamotten, die ich als Dichter getragen habe, herausgesucht und entsorgt, dann hat sie mich ins Kaufhaus geschleppt, um einen westlichen Anzug, Schlips und Lederschuhe zu kaufen. So von Kopf bis Füßen neu ausstaffiert, war von mir überhaupt nichts mehr übrig. Um die Wahrheit zu sagen, habe ich, seit ich dem Mutterleib entschlüpft war, nicht mehr so geleckt ausgesehen. Noch unerträglicher war, dass sie mir eine gewachste Perücke auf den kahlen Schädel stülpte, ich bekam vor Schreck Schweißausbrüche, wagte aber nicht, das Ding runterzunehmen, sondern schaute nur grimmig. Doch Xiao Xiao zerrte mich allen Ernstes vor den Probierspiegel, musterte mich eine Weile eingehend und sagte zufrieden lachend: »Jetzt siehst du aus wie ein normaler Mensch!«
    LIAO YIWU:
    Das ist ja furchtbar, Li Qi.
    LI QI:
    Ich fand das damals gar nicht so furchtbar, denn ich war ihr etwas schuldig. Anschließend habe ich mich in meiner unechten Montur in der Schule gemeldet. Erst jetzt erfuhr ich, dass sie meinen Namen gestrichen hatten. Ich hatte kein Einkommen mehr, ich musste mir ein Herz fassen, mich auf dem Revier in unserer Straße als neuer Anwohner registrieren und mir außerdem einen vorläufigen Personalausweis ausstellen lassen. Die Einwohnermeldepolizei hat mir vor allen Leuten ihr weiteres Vorgehen verkündet: Jeden Monat einmal auf dem Revier melden zum Rapport der ideologischen Entwicklung.
    LIAO YIWU:
    Aufgrund von was denn? Du warst doch kein Krimineller!
    LI QI:
    Ich habe kapituliert. Aber das war das gesellschaftliche Umfeld nach dem 4 . Juni, da gab es keine Blumen, keinen Applaus, keine Demonstrationen und keine Parolen. Es hat keinen Wimpernschlag gedauert, und der Wind war in die Gegenrichtung umgeschlagen, und die Leute hatten alles vergessen. Xiao Xiao brachte mich in ihr

Weitere Kostenlose Bücher