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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Einstellung überdenken, um noch mehr Geld zu verdienen. Sie bohrte nach, wie ich das denn machen wolle? Da habe ich leichthin etwas von einem Fernsehspiel erzählt, das ich machen wolle. Ich weiß noch, bevor sie kichernd aus der Tür ist, hat sie mich gelobt, dass ich jetzt mit dem Strom schwimme.
    Ich habe einen ganzen Winter lang den Stift ruhen lassen, bin spät aufgestanden, habe bekannte Literatur gelesen, und nach und nach kam der kreative Impuls zurück. Ich habe meine Erfahrungen im Gefängnis niedergeschrieben, denn jetzt war ich schon so lange draußen und hatte noch immer keinen rechten Boden unter den Füßen, in meinen Träumen war ich immer noch in der Zelle. Ach, Liao Yiwu, auch wenn ich kein Hauptangeklagter war, sind die Narben in mir drin doch tiefer als bei euch. Ihr werdet bestimmt in die Literaturgeschichte eingehen, wenigstens in die Lyrikgeschichte; wenn man in Zukunft über die Literatur des 4 . Juni spricht, kommt man um das »Massaker« und das »Requiem« nicht herum. Aber ich, ich habe für nichts und wieder nichts ein halbes Jahr im Knast gesessen, wenn ich das nicht selbst aufschrieb, würde dem niemand Beachtung schenken.
    LIAO YIWU:
    Das ist wahrscheinlich Historiophobie.
    LI QI:
    Die überwiegende Mehrheit wird von der Geschichte vergessen, übrig bleiben ein paar Leute, aber jeder hat das Recht, sich zu plagen. Ein Buch zurückzulassen, den Kindern und den Enkeln, es wird nicht unbedingt ein Bestseller werden, aber ich wäre doch wenigstens ein Zwischenspiel in der Geschichte, das man nicht weglassen kann.
    LIAO YIWU:
    Ein Geist, der nach oben strebt, ist etwas Wertvolles.
    LI QI:
    Ich empfinde mich selbst als sehr traurig, die ganzen Jahre und Monate habe ich mich in meinem Mauseloch versteckt und die Zeit im Gefängnis beschrieben und meine Stimme gegen das Unrecht erhoben.
    LIAO YIWU:
    Was für eine Rolle spiele ich in deinem Buch?
    LI QI:
    Die eines Verrückten, der seinen Hosenstall in Brand setzt und mit seinem Schwanz als MG wahllos in die Gegend ballert. Während des Verfahrens haben die zuständigen Leute dich immer als einen kühl berechnenden Konterrevolutionär beschrieben, sie waren der Überzeugung, wunders was für ein großes Organisationstalent du hast. Ich habe das mit offenem Mund gehört. Hast du Führungstalent? Dann kann ich doch dein Minister werden?!
    LIAO YIWU:
    Die Fratze, die du von mir gezeichnet hast, wäre es wert, dass ich sie mal sorgfältig studiere.
    LI QI:
    Das wirst du nicht können, ich habe das Manuskript längst vernichtet.
    LIAO YIWU:
    Schade, sehr schade.
    LI QI:
    Ich habe einen halben Monat daran gesessen, fast sechzigtausend Schriftzeichen, Xiao Xiao hat nichts gemerkt. Sie ist früh aus dem Haus und spät heimgekommen, eine von den Weißkragen und Bürohengsten; doch ich verkroch mich zu Hause, wusch die Wäsche, wischte den Boden, machte Essen und wurde zu einem ganz gewöhnlichen Hausmann. Ab und zu hat sie auch gefragt, wie weit ich mit dem Fernsehspiel bin, ich habe immer gesagt, ich schreibe gleich eine ganze Serie. Sie fragte, ob sie mal etwas davon sehen könne, um zu sehen, ob man das verkaufen kann. Ich sagte, wenn es fertig ist, kannst du es lesen. Sie schaute mich an wie einen Geist und verwies auf die Fernsehserie von Wang Shuo, die gerade ein Renner war, und meinte, wenn ich eines Tages ein zweiter Wang Shuo sei, dann bleibe sie zu Hause in unserer Villa und spiele die Madame Li.
    Wer im Knast war, der ist vorsichtig mit dem, was er tut. In dieser Zeit bin ich um elf aufgestanden, habe irgendetwas gegessen und zu schreiben begonnen, bis nachmittags um halb fünf, dann habe ich das Manuskript weggeräumt, in einer Schublade verschlossen und mich an meine häuslichen Pflichten gemacht. Aber es musste ja so kommen – eines Tages habe ich vergessen, den Schlüssel von der Schublade abzuziehen, und bin runtergegangen, um Gemüse zu kaufen. Ausgerechnet an dem Tag hat Xiao Xiao früher Schluss gemacht, ist in die Wohnung, hat einmal in die Runde geschaut und ist zum Schreibtisch. Vermutlich war sie aufgeregt, als würde sie einen neuen Kontinent entdecken, als sie die Schublade aufzog – und meine verbotene Literatur wurde auf der Stelle von meiner Hauspolizei sichergestellt.
    Ich weiß noch, ich bin mit Schweinefleisch und allerhand Gemüse in die Wohnung gekommen, da flogen die Manuskriptblätter schon durch die Luft und auf den Boden: »Das ist also deine Fernsehserie!«, schrie sie hysterisch, es war ohrenbetäubend und

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