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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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gestanden. Ich war ein »Rowdy«, dabei konnte ich nicht einmal einen Stein besonders weit werfen.
    LIAO YIWU:
    Ich nehme an, dass sich jede Menge Geheimagenten unter die Massen gemischt hatten.
    WU WENJIAN:
    Das waren alles Arbeiter und Angestellte, in der ersten und zweiten und der zweiten und dritten Generation bei Yan-Petro, die waren von klein auf zusammen, da kannte jeder jeden. Wer hätte da so etwas machen sollen? Wir wussten doch alle genau, wer aus welcher Familie bei der Polizei war, deshalb waren irgendwelche Agenten gar nicht nötig. Die Leute waren ganz verrückt, über tausend waren es, die haben mich nachher gar nicht mehr gebraucht, die haben da unten ganz von selber ihre Parolen gerufen, bis dann der Ruf laut wurde, in die Stadt zu fahren und es der Volksbefreiungsarmee einmal zu zeigen. Doch gerade da kam mein Vater gelaufen, das Polizeirevier hatte Alarm geschlagen: »Meister Wu, ihr Zweitältester ist bei den Rebellen!« Mein Vater schlug sich auf die Schenkel und kam bei uns an, als ich gerade wieder von dem Gerüst herunterstieg, er packte mich an der Brust: »Du Grünschnabel …«
    Ich ergriff die Hand, die mein alter Herr gegen mich erhoben hatte, und brüllte heroisch: »Du schlägst mich nicht!«
    Um uns herum stand eine ganze Menge Studenten der zweiten Hochschule für Petrochemie. Sie kannten meinen Vater nicht, sie sahen nur, dass da einer ihren Helden schlagen wollte, das ging nicht, sie drehten sich um, hielten den Alten fest und wollten auf ihn einschlagen. Ich bin sofort dazwischen und habe gerufen: »Halt, das ist mein Vater!«
    LIAO YIWU:
    Und dann?
    WU WENJIAN:
    Die Dinge nahmen ihren Lauf, die Gemüter hatten sich bis zum Abend wieder beruhigt. Doch die Energie meines Vater war enorm, er hielt mich nach wie vor fest, er lockerte seinen Griff ums Verrecken nicht, bis ich ihm schwankend und taumelnd nach Hause folgte. Das Gefälle war für das Gefühl von Vater und Sohn zu groß, die stets ruhmreiche, große und korrekte Kommunistische Partei, die Volksregierung und die Volksbefreiungsarmee waren von einem Augenblick auf den anderen in sich zusammengestürzt. Mein Vater war ein richtiger Kerl. Nur einmal hat er mir die Leviten gelesen, das war beim Tod meiner Mutter, aber damals hat er sie mir tüchtig gelesen. Im Zimmer hat er mich nicht noch einmal geschlagen, er sagte nur: »Du warst am 4 . Juni in der Stadt, wo es drunter und drüber geht, und sagst nicht einmal Bescheid, kommst nachts nicht nach Hause, ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Wenn draußen nur der Wind gepfiffen hat, bin ich hoch und habe in dein Zimmer geschaut, ich habe mich herumgewälzt, ich weiß nicht wie oft, und bis zum Morgen habe ich kein Auge zugetan. Deine Mutter ist früh gestorben, wenn jetzt ein Unglück geschieht, dann bin ich schuld.« An diesem Punkt brach mein alter Herr in Tränen aus: »Am Morgen bin ich zur Schicht, von der Einheit wieder nach Hause, und wie ich in dein Zimmer schaue, sehe ich, dass deine Decke zerwühlt ist, und weiß, dass sie dich nicht erschossen haben – ich atme auf, gehe zurück, als mich die Polizei zu sich zitiert.«
    Mein Vater las mir die Leviten, ich war am Boden zerstört. Ich sagte: »So, wie es jetzt aussieht, ist längst alles verloren, die werden mich bestimmt kriegen. Was hätte ich mich denn erst verstecken sollen?« Und weiter: »Bei so einer großen Bewegung, da kann man nicht sagen, Schluss und aus. Wie es aussieht, haben wir einen Bürgerkrieg.« Aber mein Vater wollte nichts davon hören, er sagte: »Du darfst nicht weitermachen, wenn du weitermachst, dann ist das mein Tod.«
    Was konnte ich da noch machen? Selbst wenn er die Kommunistische Partei wieder in Schutz nahm, er war doch mein Vater. Also habe ich hastig aufgeräumt und bin in der Folgenacht nach Hubei geflohen, wo unsere Familie herstammt. Damals lebte meine Großmutter noch, also habe ich bei ihr gewohnt. In den Dörfern gibt es viele Hunde, wenn sich da nachts irgendetwas regt, dann gibt es ein Mordsgebell, also bin auch ich hoch und habe nach draußen gespäht. Fast zwei Wochen habe ich nicht richtig geschlafen; als ich ihnen später ins Netz gegangen war, habe ich wieder gut geschlafen.
    LIAO YIWU:
    Wann war das?
    WU WENJIAN:
    So um den Zwanzigsten herum.
    LIAO YIWU:
    So schnell? Da wird doch nicht etwa dein Vater nicht dichtgehalten haben?
    WU WENJIAN:
    Von nicht dichthalten kann keine Rede sein. Die standen vor der Tür, fragten, und mein Vater hat ihnen direkt gesagt, ich

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