Die Kugel und das Opium
vor’s Gesicht und sagte mit knirschenden Zähnen: »Immer noch so von oben herab?!« Er war so aufgebracht, als hätte ich seine Tochter vergewaltigt. Kurz vor der Abreise hat er sich aber wieder eingekriegt und mit mir geplaudert. Ich habe zu ihm gesagt: »Sie sollten das nicht mit mir besprechen, wir sehen uns in fünf Jahren wieder. In fünf Jahren, in fünf Jahren werde ich hierfür rehabilitiert.«
Und so bin ich in Handschellen zurückgekommen, war zwei Nächte auf dem Revier, dann in einer anderen Amtsstelle zwei Monate in einer kleinen Zelle eingesperrt, bis ich schließlich von der Stadtverwaltung erneut wegen konterrevolutionärer Aufwiegelung verhaftet wurde. Am 7 . September 1989 wurde eine Gruppe von Leuten unter der gleichen Anklage in der Sammelstelle Nr. 7 eingesperrt, dem Untersuchungsgefängnis von Beijing. Dort habe ich dann über ein halbes Jahr gesessen.
Da die Sachlage klar war, wurde ich nur siebenmal verhört und ohne viel Aufhebens verurteilt, zu sieben Jahren.
LIAO YIWU:
Wie viele Leute waren in einer Zelle?
WU WENJIAN:
In den großen Zellen ein paar Dutzend, in den kleinen sieben, acht Mann. Das war noch ein altes Gefängnis, das mit Unterstützung der Sowjetunion gebaut worden war, das war ziemlich solide. Wenn man in die Zelle hereinkam, waren an beiden Seiten breite Pritschen für mehrere Leute. Damals war auch noch der Dichter Ye Wenfu drin, er hat dieses Gedicht »General, das darfst du nicht« geschrieben. Eine Weile war das in Mode und er sehr bekannt, und während der Studentenunruhen hat er öffentlich seinen Parteiaustritt erklärt. Er war einen Stock unter uns, ich habe ihn mit eigenen Ohren brüllen hören: »Ich ficke deine alte Mutter!«
Der Wärter wusste nicht weiter, er musste sich ihn greifen und schimpfte: »Und das will ein Dichter sein, so ein Schwein!«
Und dann waren da noch die drei, die die Mao-Statue auf dem Tiananmen mit Eiern beworfen hatten – Yu Zhijian, Lu Decheng und Yu Dongyue, die saßen auch hier. Yu Zhijian war mit mir in einer Zelle. Ich habe das Gedicht gelesen, das er an die Wand geschrieben hat: »Will es noch immer in Stücke haun/das unverwüstliche Sojafass; will noch immer hinauf/auf unbezwingbare Gipfel …« Früher habe ich es noch auswendig gekonnt, aber es ist lange her, ich kann mich nicht mehr an alles erinnern.
LIAO YIWU:
Den dreien ist es nicht gut ergangen, Gerüchten zufolge soll Yu Dongyue den Verstand verloren haben, Lu Decheng ist unter Lebensgefahr nach Thailand geflohen und hat dort um politisches Asyl ersucht, aber es wurde abgelehnt, und die thailändische Polizei hätte ihn beinahe abgeschoben.
WU WENJIAN:
Wenn er zurückkommt, ist er ein toter Mann. Yu Zhijian hat lebenslänglich bekommen, Lu Decheng fünfzehn Jahre, sie haben ihn in den Keller gesperrt, wie man hört in eine Zelle mit Agenten aus Taiwan, die auf dem Tiananmen mitgemischt haben. In Beijing ist eine erste Gruppe von sieben »Rowdys« vom 4 . Juni an die Wand gestellt worden, einer hieß Wang Lianxi, dessen Strafe haben sie in einem Wiederaufnahmeverfahren geändert. Er hat überlebt, weil sie herausgefunden haben, dass er geisteskrank ist. Und dann war da noch dieser legendäre Mann, er hieß Zhu Gengsheng, er ist, als die ersten Panzer auf den Tiananmen vordrangen, auf einen aufgesprungen, um die Eisenluke aufzustemmen – am Ende wurde er fotografiert. Dieser Zhu Gengsheng ist in erster und zweiter Instanz zum Tode verurteilt worden, sie hatten ihm bereits Hand- und Fußschellen angelegt und ihn in die Todeszelle gebracht, wo er darauf wartete, dass man das O.K. geben und ihn auf den Weg bringen würde, aber dieses Papier ist nie gekommen. Er saß über zwei Jahre in der Todeszelle, der Mann war vollkommen verformt, als man ihn schließlich zu Tod auf Bewährung begnadigte. Für seine Nerven war das zu viel. Du weißt, dass in den Untersuchungsgefängnissen gelegentlich Leute auf den Weg gebracht werden, wenn die Tür aufgeht, dann ist das ein Schock, und erst wenn einer ein paar hundert Tage in diesem Schockzustand hinter sich hat, wird seine Strafe geändert. Ganz nach Vorschrift nimmt man dir die Fesseln ab, was denkst du, was passieren wird? Er hat sich daran nicht gewöhnen können – er ist bis auf die Knochen abgemagert, bei jedem Schritt hatte er das Gefühl, er geht wie auf Watte. Er hat mir erzählt, das sei noch viel unsicherer als mit Fesseln an den Füßen.
Im Umerziehungslager habe ich mir mit Zhu ein unteres Bett geteilt,
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