Die Kugel und das Opium
sei in unsere alte Heimat gefahren, und dann haben sie auch noch die genaue Adresse aus ihm herausgeschüttelt.
LIAO YIWU:
Hat dein Vater dich verraten?
WU WENJIAN:
Glaube an die Regierung, Glaube an die Partei, das ist mein Vater. Er war mit einem stellvertretenden Amtsleiter einer Amtsstelle bei Yan-Petro befreundet, den hat er um Hilfe gebeten. Der hat das auch versprochen und gemeint, wenn sie deinen Sohn erst einmal ausfindig gemacht haben, werden sie die Sache sicher mit Nachsicht behandeln. Und dann hat der stellvertretende Amtsleiter noch bei der Polizei Bescheid gesagt. Mein Vater glaubte, sein Sohn bekäme höchstens ein paar Tage Arrest, ein bisschen Belehrung und fertig. Er hätte im Traum nicht gedacht, dass sie mir sieben Jahre aufbrummen würden.
Mein Vater hat sich dann von der Einheit einen Wagen geliehen und mich persönlich bei der Großmutter abgeholt. Er war noch ganz guter Dinge, meinte, Wenjian, wir fahren jetzt zusammen zurück, Beijing hat sich beruhigt, es ist alles in Ordnung. Dann sind wir beide in den Wagen gestiegen und haben noch Witze gemacht, aber als wir aus dem Ort herauskamen, versperrten uns auf einmal zwei Autos den Weg …
LIAO YIWU:
Eine Falle?
WU WENJIAN:
So etwas Ähnliches. Damals waren die ländlichen Gebiete dünn besiedelt, wenn ein Fremder in einen Ort kam, dann haben die Hunde gebellt. Außerdem habe ich noch meinen Mallehrer angerufen, und er hat mich gedrängt: »Mach sofort, dass du wegkommst, je weiter, desto sicherer, wenn du ein, zwei Jahre draußen untertauchst, ist vermutlich über die Sache Gras gewachsen.« Ich habe es versprochen und gleichzeitig ziemlich naiv gemeint: »Geht schon, geht schon, ich habe meinen Malkasten dabei, ich kann unterwegs ein paar Skizzen machen und mir mein Essen verdienen.« Als mein Lehrer das hörte, ist er böse geworden: »Vergiss den Scheißmalkasten, mach, dass du wegkommst! Und nimm ein bisschen mehr Geld mit!«
Ich war gerade dabei, mich von dem Dorf meiner Großmutter zu verabschieden, als mein Vater und das Amt für Öffentliche Sicherheit zu einer mündlichen Vereinbarung gekommen waren. Bevor er mich abholte, hat er noch seinen stellvertretenden Amtsleiter angerufen, woraufhin der hörbar erleichtert aufatmete: Haben wir nicht alle Kinder, die wir heranwachsen sehen? Es liegt doch auf der Hand, bei so einer Kleinigkeit, er kommt zurück, klärt alles, und dann geht das in Ordnung.
Und so, als ich die zwei Polizeiautos sah, die uns da im Weg standen, wurde mir bewusst, dass ich in der Tinte saß. Rechts und links nichts als Felder, die Weizenernte war im Gang, alles flach, so weit das Auge reichte. Ich stieg aus, aber ich bin nicht weggelaufen. Und dann sind die Polizisten alle ausgestiegen, einer hat den Kopf vorgestreckt und gefragt: »Wie heißt du?«
Ich sagte, ich heiße Wu Wen…
Ich hatte das kaum heraus, als ich ein Johlen vernahm: »Dich haben wir gesucht!«
LIAO YIWU:
Wie viele standen denn um dich herum?
WU WENJIAN:
Einen aus Beijing abgehauenen Rowdy zu fangen, das war eine ausgezeichnete Gelegenheit, Punkte zu machen, deshalb war das gesamte Revier mit seinen über sechzig Mann angerückt. Ich wurde festgenommen, zur Kreispolizei geschafft und an einen Baum gebunden; erst da habe ich mitbekommen, dass sie ganz aufgeregt mit Beijing telefonierten: »Wu Wenjian ist uns ins Netz gegangen!«
Ich wurde verhört, bis die Leute, die mich abholen sollten, zur Stelle waren. Ein Abteilungsleiter der Kreispolizei von Hengshui an der Spitze von einem ganzen Trupp, Kamera auf der Schulter, ständig mit Blick auf Beijing. Der Abteilungsleiter machte vor versammelter Mannschaft Meldung, wie ein Schauspieler, grüßte und brüllte dann los: »Ich wünsche Beijing viel Erfolg bei der Niederschlagung der konterrevolutionären Aufstände!«
Auch wenn ich an einen Baum gefesselt war, wäre mir vor Lachen fast die Luft weggeblieben. Der Chef des Polizeireviers bei uns in der Nähe kannte mich gut, er hat mir damals auch noch zugelacht: »Hehe, da hast du dich aber ziemlich schnell aus dem Staub gemacht, was!?«
»Hehe«, gab ich zurück, »ihr ward aber auch ziemlich schnell hier!«
War es denn nicht so? Über fünfhundert chinesische Meilen, gut zweihundertfünfzig Kilometer, ich hatte das Gefühl, sie haben im Handumdrehen vor mir gestanden.
Aber der Abteilungsleiter war wahrscheinlich in der Kulturrevolution getauft worden, er verstand keinen Spaß, er hielt mir seinen großen, dicken Zeigefinger direkt
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