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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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hast zu viel von den Intellektuellen erwartet, Wenjian. Nach dem Tod von Hu Yaobang 1989 standen die Zeichen bereits auf Sturm, die Intellektuellen sind aus sehr komplexen Motiven in die Studentenbewegung involviert worden, eine ganze Reihe war der Auffassung, man müsse die Regierung stürzen, keiner wollte diese letzte Chance verpassen, in die Geschichte einzugehen, denn wenn sie diese Chance verpassten, dann bedeutete das den Verlust des Mitspracherechts für die Zukunft.
    WU WENJIAN:
    Heißt das, wenn man nicht mitreden kann, gibt es keine Geschichte?
    LIAO YIWU:
    So war das schon immer, das Einzige, was wir tun können, ist die Wahrheit ausgraben und versuchen, die historischen Entscheidungen, die diese Elite getroffen hat, zu verändern.
    WU WENJIAN:
    Aber ich kann nicht schreiben, viele können nicht nur nicht schreiben, ihnen hört nicht einmal jemand zu. Ding Ziling von den Angehörigen der Opfer vom 4 . Juni ist ein Glücksfall, aber wen gibt es unter den Rowdys vom 4 . Juni?
    Ich habe die Erinnerungen von Wang Dan gelesen, er erwähnt mit keinem Wort, dass er im Gefängnis den »Rowdys« vom 4 . Juni begegnet ist. Er war nur ein paar Meter weit weg von mir, als er mit lauter Stimme fragte: »Wie seid ihr denn hier hereingekommen?
    Die Rowdys lachten: »Wir sind wegen des 4 . Juni hier.«
    Da wurde er sehr aufgeregt: »Ich bin Wang Dan, wir sind alle vom gleichen Schlag, wir sitzen für unseren Kampf für die Demokratie, das muss man aushalten!«
    Doch einer von den Rowdys sagte: »Du hast gerade mal vier Jahre, ich habe fünfzehn! Wie soll ich das aushalten, Bruder?«
    Als seine Worte verklungen waren, schwiegen alle. Die Elite und die einfachen Leute streiften einander, aber die Mauer zwischen ihnen war nicht zu überwinden.

Wang Yan,
ein Straßenkämpfer
    17 . Dezember 2005 , es ist tiefe Nacht, der Nordwind heult wütend, ich laufe mit Wu Wenjian, der seine Beziehungen hat spielen lassen, fast eine Stunde im Gebiet von Dashanzi in Beijing herum, und als ich schon ganz trunken bin von dem ständigen Abbiegen, löst sich von dem Wohngebäude auf der anderen Seite der Straße auf einmal ein schwarzer Schatten. Wu Wenjian macht mit der Hand ein Zeichen, ruft mit unterdrückter Stimme: Bruder, nicht die Überführung! Daraufhin kommt der schwarze Schatten über die Straße, direkt auf uns zu.
    Drei Hagestolze stecken mit eingezogenen Hälsen die Köpfe zusammen, man muss sich nicht gegenseitig vorstellen, jeder weiß, wer der andere ist. Der hagere, hochaufgeschossene Wang Yan erklärt, dass er am helllichten Tag nicht herauskommen kann, auch am Abend geht es nicht, seine Eltern bewachen ihn wie die Schießhunde, sie haben Angst, dass irgendetwas passiert. Er muss warten, bis die beiden Alten zur Ruhe gekommen sind, erst dann kann er sich vor die Tür wagen. Wu Wenjian kichert, nicht schlecht, wenn man mit vierzig noch von Mama und Papa betüttelt wird. Wang Yan fragt zurück: Und wie ist das bei dir, du Pimpf? Wu Wenjian schlägt sich an die Brust, mein Papa und meine Mama sorgen sich um mich, wenn sie mich sehen, wenn sie mich nicht sehen, müssen sie sich auch keine Sorgen machen.
    Anschließend gehen wir eine halbe Stunde durch Straßen und Gassen, bis wir ein Stundenhotel finden. Wu Wenjian nimmt seinen Personalausweis und verlangt ein normales Zimmer im Dachgeschoss zur Straßenecke hinaus. Als wir uns im Schneidersitz auf die schmuddeligen Betten setzen, ist es schon fast Mitternacht.
    Wir sind alle ehemalige Sträflinge, rauchen ist unvermeidlich. Es dauert nicht lange, und das ganze Zimmer ist zugequalmt. Aber wir wollen nicht nur kein Fenster aufmachen, wir ziehen auch noch die Jalousien herunter. Ich habe die ganze Zeit etwas mit dem Magen, aber ich beiße die Zähne zusammen. Das Aufnahmegerät läuft lange, die beiden anderen kümmern sich nicht darum und reden wieder und wieder irgendwelchen Unsinn. Die Zeit verrinnt, ich habe vergessen, wann Wang Yan auf unser eigentliches Thema zurückkommt.
    Morgens um sechs schleichen wir uns aus dem Hotel, wachsbleiche Gesichter, mit schwerem Kopf und leichtem Schritt, wie Freier, die es ein bisschen übertrieben haben. Allmählich werden die Märkte laut. In einem Frühstücksladen in der Nähe geht das Licht an, wir gehen hinein, bestellen Baozi und Reisbrei. Wang Yan frisst wie ein Scheunendrescher, Wu Wenjian sagt immer wieder, er solle sich Zeit lassen und ob er keine Angst hat, sich den Mund zu verbrennen. Wang Yan hebt den Kopf von seiner

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