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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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geringste Aufmerksamkeit geschenkt. Der Rausch der Begeisterung von damals war verflogen, mit der Zeit war alles anders geworden, es war kalt geworden zwischen den Menschen, und alle verabscheuten die Politik. Ich hatte noch meine Malerei, und nachdem ich eine Weile Klamotten verkauft hatte, konnte ich von Reklameentwürfen leben. Aber die meisten meiner Leidensgenossen waren früher ganz normale Bürger gewesen, die Gesellschaft hatte sich geändert, sie hatten keine Arbeit und sogar Mühe, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Da war ein Bruder, der hatte vor dem 4 . Juni ein Restaurant und richtig Geld. Er hat während der Studentenunruhen etwas zu essen und zu trinken geschickt und ist dafür für gut ein dutzend Jahre in den Bau gewandert. Als er wieder draußen war, hat er einen Nachtclub aufgemacht. Er hat viele von den Leidensgenossen finanziell unterstützt, er war so etwas wie das Sozialamt für die Rowdys vom 4 . Juni, aber er war nicht bereit, auch nur ein Wort über das Vergangene zu verlieren, vor allem nicht über die ganze Sache mit der Demokratiebewegung.
    Es ist noch gar nicht lange her, da habe ich mit einem meiner Leidensgenossen telefoniert, er kann Stempel schnitzen, ich kann malen, wir haben uns schon immer sehr gut verstanden. Aber als ich ihm sagte, ich hätte eine Reihe von Ölbildern über das Massaker vom 4 . Juni gemalt, hat er mich blitzartig unterbrochen: »Wozu machst du diese Spielereien? Hast du noch nicht lange genug gesessen?«
    »Meine Wut ist noch nicht verraucht«, gab ich zurück.
    »Mir sind derlei Töne längst vergangen. Bruder, lass die Finger von der Politik, sie ist zu grausam und sie ist zu schmutzig.«
    LIAO YIWU:
    Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das sagt: »Für Kinder ohne Mütter sorgt der Himmel.«
    WU WENJIAN:
    Und wenn der Himmel das nicht tut, dann muss man sich umeinander kümmern. Wer zuerst rauskam und ein bisschen Familienbesitz hatte, der hat denen, die später rauskamen, unter die Arme gegriffen. Jetzt sind alle, die fünfzehn Jahre bekommen haben, draußen. Die mit lebenslänglich und Todesstrafe auf Bewährung, das sind noch etwas über zwanzig, die sind noch drin, die reißen sich zusammen, so gut es geht. Die Elite des 4 . Juni, im In- wie im Ausland, hat in all den Jahren schätzungsweise einige zehntausend Artikel geschrieben – ich habe jedes Jahr ein paar davon gelesen, aber da stand nicht ein Wort über uns »Rowdys«, als ob wir nie existiert hätten; als ob der Tiananmen-Zwischenfall sich nur auf dem Tiananmen abgespielt hätte. Alles andere hat nur ganz selten die Augen der Welt auf sich gezogen, was an anderen Orten geschah, das gerät mehr und mehr in Vergessenheit.
    Wie soll man diese Leute verorten? Offiziell sind es »Rowdys«, aber ihr, die Elite mit ihrem Rederecht, die ihr Geschichte, Literatur, Medien- und Gesellschaftswissenschaften studiert habt, wie nennt ihr die »Rowdys«, die einmal das Herz der Tiananmen-Bewegung gewesen sind? Ihr wart auf dem Platz, voller Enthusiasmus und Pathos, als ginge es nur um das Land, das Volk, die Freiheit, die Demokratie, keine egoistischen Interessen, als wärt ihr zu jedem Opfer bereit – die Bürger von Beijing haben sich unter eurem Einfluss den Konvois entgegengestellt, damit sie nicht mit Gewehren auf euch losgehen, aber euch ist es gutgegangen, ihr seid gerannt wie die Hasen … Und was mich angeht, ich habe an diesem 4 . Juni die Gerüchte in der Stadt gehört. Es hieß, Chai Ling, Wang Dan, Wuer Kaixi seien von den Soldaten erschossen worden. Die Empörung war gewaltig, und meine spätere Kühnheit speiste sich aus dieser Empörung. Wir haben einen zu hohen Preis bezahlt, zu viele Menschen sind ums Leben gekommen, aber ihr schreibt in euren Erinnerungen nur von den paar Trivialitäten der Studenten.
    Und dann ist da noch Fang Lizhi, der hätte sich ein Herz fassen müssen, stattdessen verkriecht er sich in der amerikanischen Botschaft und lässt sich nicht blicken, sondern von seiner Familie abholen. Dieser Herr Fang war einmal der Mann, den ich am meisten verehrt habe, er hat an der Chinesischen Hochschule für Wissenschaft und Technik öffentlich gesagt: »Demokratie bekommt man nicht als Almosen, Demokratie muss man sich erstreiten!« Und als es ans Erstreiten ging, wieso hast du dich nicht sehen lassen?! Und hast mit den Millionen Beijinger Bürgern nicht zusammengestanden?! Wann sind die Intellektuellen im entscheidenden Augenblick aus der Kette ausgeschert?!
    LIAO YIWU:
    Du

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