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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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wer weiß, vielleicht bekäme ich auch einen Straferlass und käme früher frei. Ich fragte, ob ich Berufung einlegen könne, und sie sagten, es hätte mich beinahe den Kopf gekostet, ob ich da wirklich Revision einlegen wolle? Später hat der Polizist aus dem Untersuchungsgefängnis mich auch noch gefragt, warum ich keine Berufung eingelegt hätte. Ob ich nicht das Gefühl hätte, dass das ein Justizirrtum sei? Dass die Strafe zu hoch sei? Ich habe den Kopf gesenkt und keinen Mucks von mir gegeben, ich dachte bei mir, ihr Chop Suey, ihr hättet mir gern noch ein paar Löcher in den Körper gebohrt. In Wirklichkeit, wie sollte ich mir nicht ungerecht behandelt vorkommen? Die Scheißstrafe war viel zu hart! Wenn man so eine Karre abfackelt, das ist doch nur Geld, ich habe doch keinen umgebracht. Ich bin doch kein Krimineller, ich habe nicht gestohlen, nicht geraubt, nicht vergewaltigt, ich habe nur wenig gelernt und verstehe von allem viel weniger als die Intellektuellen.
    LIAO YIWU:
    Auf jeden Fall hast du überlebt. Es gibt genug, die das nicht geschafft haben.
    ZHANG MAOSHENG:
    Das stimmt. Wenn man überlebt, kann man die Zeit aushalten. Deng Xiaoping hatte so viel Macht und Ansehen und hat uns doch nicht den Tod erleiden lassen, Jiang Zemin ist auch so gut wie tot, und wer noch alles ausgeatmet und nicht mehr eingeatmet hat, und ich, ich bin noch keine vierzig und kann noch aushalten, bis die Urteile für den 4 . Juni rückgängig gemacht werden.
    LIAO YIWU:
    Sicher. Und du bist gewiss der einfachste Rowdy vom 4 . Juni, den ich getroffen habe.
    ZHANG MAOSHENG:
    Nicht wahr? Das Verfahren war ja auch schnell erledigt.
    LIAO YIWU:
    Und dann kam die lange Umerziehung.
    ZHANG MAOSHENG:
    Hm, das hat mir nicht recht geschmeckt. Vorher, in der Gesellschaft, in der Einheit hat es mich am meisten genervt, dass sich ständig einer um mich gekümmert hat; aber im Gefängnis musste man sich nicht nur daran gewöhnen, sondern auch an die Prügel, so wäre man nicht einmal mit Tieren umgegangen. In den Jahren, in denen ich im Gefängnis war, habe ich insgesamt zweimal geweint. Das erste Mal war der Eindruck besonders tief, denn ich war gerade erst reingekommen, und sie suchten einen Vorwand, um mich zu maßregeln und mich in eine kleine Zelle zu sperren. In den kleinen Zellen war es besonders eng, niedrig, da stand nur eine Holzpritsche, die war kaum einen halben Meter breit. Wenn man sich aufrecht hinstellte, hat man sich den Kopf gestoßen, selbst umdrehen war mühsam. Vor der Nase hatte man ein handtellergroßes Fenster, das Glas war kaputt, und ein paar vergammelte Ranken wanden sich darum. Damals war es kalt, es war kurz vor dem Fest. Ich war Tag und Nacht in diese Hundehütte eingesperrt, was draußen passiert ist, davon bekam ich keinen Wind. Eines Tages ist von weitem eine Arie aus der revolutionären Modelloper herübergeweht, »Die strategische Einnahme des Tigerbergs« [8] , irgendwas von »durch weite Wälder, Ebenen voll Schnee, der Mut reicht bis zum Himmelszelt«, die waren am Proben, das war Programm für das Fest. Neujahr. Ach, ich habe mich noch mal so einsam gefühlt und verlassen, ich wusste auch nicht, wann ich wieder aus der kleinen Zelle herauskommen würde und was für eine Strafe sie dann noch für mich in petto haben. Und meinem Vater und meiner Mutter ging es auch nicht gut, würde ich sie noch antreffen, wenn ich rauskam? Würde ich für sie noch eine gute Frau ins Haus bringen können? Es war alles unsicher, selbst die Möglichkeit, die Ahnenreihe fortzuführen, hatte ich nicht mehr. Ich überlegte hin und her, ich hatte einen Kloß im Hals, und mir liefen die Tränen über das Gesicht.
    LIAO YIWU:
    Wie lange warst du in der kleinen Zelle?
    ZHANG MAOSHENG:
    Über zehn Tage. Dem Gefühl nach waren es über zehn Jahre. Als es vorbei war und ich rauskam, war ich um einiges erwachsener, als hätte ich jetzt so was wie ein Fundament. In kleinen Zellen hatte man gesessen, was sollte in den großen noch groß kommen … Und was das Unrecht angeht, wem von uns war kein Unrecht geschehen? Über die Hälfte in der Zelle waren wegen des 4 . Juni hier drin, die waren alle im gleichen Alter wie ich, wie ein Wäldchen von jungen Bäumen, die sich gerade zu voller Größe aufgerichtet haben. Wir haben alle miteinander geplaudert, einander geholfen, wenn einer ein Tief hatte. Nichts ist schlecht, wenn man jung ist, nicht einmal der Knast, ein Verbrechen, das Opium-Rauchen, man muss seine jungen Jahre nutzen, und

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