Die Kultur der Reparatur (German Edition)
komplexeste atomare Geschehen nur auf der Basis des uns Menschen vertrauten mechanischen Zugangs zur Welt der Dinge verstehen kann. Oder denken Sie an das Atommodell, das Niels Bohr in Analogie zum Planetenmodell und seiner uns Menschen verständlichen Newton'schen Mechanik entwickelt hat.
Geistiges Handwerken könnte man diese Einheit nennen. Ihr liegt ein pädagogischer Ansatz zugrunde, wie man aus dem Einfachen, Vertrauten zur Erkenntnis des Komplexen kommt. Und das ist gerade bei der Aneignung von Weltwissen im Entwicklungsprozess von Kindern und Jugendlichen der Königsweg. Das habe ich durch meine eigene Biografie begriffen, in der Auseinandersetzung mit der Frage, was die Kultur der Reparatur mit mir zu tun hat.
Ich habe die Reparatur sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen, weil es bei uns zu Hause noch eine Werkstatt gab. Damals noch vollkommen selbstverständlich. Und natürlich besitze ich selbst auch heute noch eine. In der sieht es aus wie in jeder Werkstatt – ein ziemliches Durcheinander, mit vielen unerledigten Arbeiten, viele auch gerade erst angefangen. In meiner freien Zeit ziehe ich mich gerne dorthin zurück. Dort brauche ich keinen Fernseher, keine Zerstreuung oder Ablenkung, ich sitze dann einfach nur da und schaue mir all die Sachen um mich herum an und überlege, was ich als Nächstes mit ihnen anstellen kann. Für mich ist das bereits ein kreativer Akt.
Kinder haben heute oft keinen Zugang mehr zu einer Familienwerkstatt. Vonseiten der Eltern wird kein Wert mehr darauf gelegt, sie sehen keinen Sinn in einer solchen Einrichtung, man kann ja alles neu kaufen. In beengteren Wohnverhältnissen sind natürlich auch die Keller so klein bemessen, dass dort keine Werkstätten mehr eingerichtet werden können. Doch Bastelmöglichkeiten sollte es eigentlich in jedem Haushalt geben, welcher Art auch immer, nicht nur im Kindergarten. Kinder wachsen jedoch nur noch selten mit einem Experimentierkasten auf, wie es in meiner Jugend noch üblich war.
Bau- und Experimentierkästen haben eine lange Tradition, Jugendlichen wurden sie schon seit ungefähr 1850 unter den Weihnachtsbaum gelegt. In unserem Shop im Deutschen Museum gibt es ebenfalls eine Ecke, in der sie verkauft werden, und viele Eltern entdecken heute wieder den pädagogischen Wert solcher Geschenke zum Geburtstag oder zu Weihnachten. Ich habe immer Artur Fischer bewundert, der nicht nur als Vater von Fischer-Dübel und Fischertechnik ein genialer Erfinder ist, sondern auch noch im hohen Alter so kreativ ist, dass er mir kürzlich zeigte, wie er mechanisches Spielzeug nunmehr nicht nur für Kinder, sondern auch für alte Menschen mit eingeschränkten motorischen Fähigkeiten konstruiert hat. Seine wunderbare Aussage, dass die beiden prägenden Orte in seinem Leben das Deutsche Museum und das Deutsche Patentamt gegenüber waren, macht ihn für mich erst recht zum Vorbild. Als erfolgreicher mittelständischer Unternehmer ist er einer jener Hidden Champions, die für eine große Zahl von Arbeitsplätzen in Deutschland und damit für das Erfolgsmodell der Deutschland AG mit ihren Erfindern, Tüftlern und deren Exporterfolgen verantwortlich sind.
Ich selbst besaß (und habe noch) einen Trix-Metallbaukasten, der, weil er anfangs nicht als Spielzeug durchging, sondern als Lehrmittel, „Volksbaukasten“ genannt wurde. Wesentlich war bei diesem Baukastensystem ein neuartiges Drei-Loch-System, das die Befestigung von Schrauben, versetzt in drei Reihen je Flachband, verschränkungsfrei und auch ziemlich einfach ermöglichte. Durch den Trix-Metallbaukasten sollen zahlreiche Generationen an technische und naturwissenschaftliche Berufe herangeführt worden sein – ich kann es für mich bestätigen. Leider stellte Trix die Produktion Ende der neunziger Jahre ein, weil der Baukasten kaum noch nachgefragt wurde.
Daneben hatte ich noch einen Baukasten, durch den man in die Lage versetzt wurde, eine Dampfmaschine zusammenzubauen und dabei ihre Funktionsweise zu erfassen. Die Pädagogen und Techniker, die diesen Baukasten konzipierten, gingen davon aus: Wer nicht in der Lage ist, das Vorgehen einer Dampfmaschine zu verstehen, dem wird es später einmal in einem Physik- oder Maschinenbaustudium schwerfallen, den Carnot'schen Kreisprozess als Grundlage jeder Wärmekraftmaschine zu begreifen. Und das ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, z. B. ein modernes Blockheizkraftwerk zu bauen. Ein bestimmtes technisches Verständnis ist die Bedingung, um das
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