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Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Titel: Die Kultur der Reparatur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang M. Heckl
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mehr selbst in die Hand nimmt, lernt nichts Neues mehr hinzu.

Die Rückkehr der Konzentration
    Reparatur ist ein Kreislauf von Analyse, Strategie, Implementierung und Erfolgserlebnis. Dies ist eine Art Wertschöpfungskette. Das analytische Denken muss man üben. Wenn Kinder das Reparieren nicht mehr lernen, sind sie nicht mehr in der Lage, das durchzuführen, was Mediziner Anamnese nennen, die systematische Befunderhebung.
    Bei einem schlechten Computerspiel analysiere ich überhaupt nichts, da muss ich mich höchstens ducken, wenn auf mich geschossen wird. Bei Ego-Shooter-Spielen geht es darum, wer in kürzester Zeit am meisten Gegner abschießt. Damit trainiere ich vielleicht meine Schnelligkeit, doch ich durchdenke nicht einen kompletten Vorgang von A bis Z, und wenn es sich dabei um eine noch so kleine Reparatur wie die einer Lampe handelt. Das ist ein großes Manko, weil ich dadurch nicht einmal mehr versuche, die Welt, in der ich lebe, in ihrer Gesamtheit zu verstehen.
    Damit haben Lehrkräfte, aber auch wir im Deutschen Museum zu kämpfen: Kinder haben Schwierigkeiten, sich bei längeren Ausführungen zu konzentrieren – doch wie eine chemische Reaktion abläuft, warum ein mit Nanopartikeln beschichteter Ski schneller gleitet, ein Sterlingmotor oder eine Computertomographie funktioniert, das kann man nicht in zwei Minuten erläutern. Da braucht es schon die Fähigkeit zur Konzentration, zur Hingabe, aus der im besten Fall Leidenschaft werden kann. Dementsprechend beliebt sind die berühmten Knopfdruckexperimente in den Ausstellungen des Deutschen Museums, bei denen sofort etwas passiert. Wenn keine augenblickliche „Action“ garantiert ist, ziehen die Kids gerne weiter. Ihnen fehlt oft die Geduld, so lange zu warten, bis sich das entsprechende Experiment in Gang setzt, etwa eine chemische Reaktion, die man geduldig nachvollziehen muss.
    Um reparieren zu können, muss ich mich einer Sache mit Hingabe widmen, wenn ich sie erfolgreich zu Ende bringen will. Das ist der pädagogische Aspekt der Reparatur. Gegner im (schlechten) Computerspiel abzuschießen, ermöglicht kein Lernen von Lebensbewältigungsstrategien. (Bei Strategiespielen ist das etwas anders, trotzdem ist der Transfer vom virtuellen ins reale Leben auch hier nicht unmittelbar evident.) Die Reparatur hingegen schon: Eine Schellacklasur zum Beispiel muss ich nicht genau in ihrer physikalisch-chemischen Zusammensetzung kennen, aber ich sollte zumindest über ihre Anwendung Bescheid wissen, um ein wertvolles Möbelstück restaurieren zu können. Dass Ausscheidungen der Lackschildlaus die Basis dieser Lasur bilden, macht die Sache noch viel interessanter: Beim Nachschlagen über die vielfältigen (auch historischen) Anwendungen vom Siegellack über Hutmacherleim bis zur Schellackplatte kann man sich geradezu festlesen. Eine Reparatur, ein handwerklicher Vorgang kann also im besten Sinne zum Studium der Technikgeschichte, der Biologie und der Materialwissenschaften bis hin zur elementaren Physik und Chemie führen. Das ist die Gesamtschau der Dinge, die ich so schätze. Zusätzlich kann ich mir mit Hilfe von Literatur, mit dem in der Schule im Physikunterricht Gelernten oder mit Ratgeberbüchern Fähigkeiten und Fertigkeiten aneignen, die einfach wunderbar sind, wenn man sie beherrscht. Nebenbei lerne ich Respekt und Hochachtung vor den Menschen, die uns auf dem Weg der technischen Entwicklungen und Erfindungen im Laufe der Menschheitsgeschichte begleitet haben. Ich kann verinnerlichen, wie Isaac Newton es einmal ausgedrückt hat, dass wir auf den Schultern von Giganten stehen.

Auf den Schultern von Giganten
    Der englische Naturforscher gehört zu den größten Gelehrten, und er sagte diesen Satz in der typischen Manier des Understatements. Aus unserer heutigen Sicht war er der Gigant, aber er gab zu verstehen: Nein, nein, ich bin ein kleines Licht. Was ich herausfand, wäre ohne die Vorleistungen meiner großartigen Kollegen nicht möglich gewesen, und es ist nur ein kleines Rädchen im großen Räderwerk der Natur, um es mit Descartes auszudrücken, der einem mechanistischen Weltbild anhing.
    Dieses eher bescheidene Denken findet man oft bei Menschen, die tiefer nachdenken als andere, die den Dingen auf den Grund gehen wollen. Alle neuen Erkenntnisse bauen auf den früheren auf. Die Quantenmechanik hebt die klassische Mechanik nicht auf, sie ist eine Weiterentwicklung für die kleinsten Materiebestandteile; Einsteins Relativitätstheorie erweitert

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