Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Die Kultur der Reparatur (German Edition)

Titel: Die Kultur der Reparatur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang M. Heckl
Vom Netzwerk:
Sichtweise sehr, hatte ich doch von einem Nobelpreisträger erwartet, dass er sich nur mit hochkomplizierten Dingen beschäftigt. Heute, zwanzig Jahre später erschafft Binnig wunderbare Bronzeskulpturen, eine handwerkliche und künstlerische Tätigkeit, die er mit hoher Kunstfertigkeit ausführt.
    Eine ähnliche Erfahrung, mit den eigenen Fähigkeiten etwas schaffen zu können, machte unsere Tochter, als sie, sieben oder acht Jahre alt, aus einem runden Holzstück, das von einem kleinen Fass stammte, ein Haus errichtete. Aus einer Holzplatte sägte sie unter meinen Augen eine Bodenplatte aus, auf die sie das gerundete Holz, eine Art Runddach, legte. Geleimt wurde mit Ponal, zum Abschluss bekam das Häuschen einen Strohhalm auf das Dach geklebt; damitwar der Schornstein installiert. Sie war mächtig stolz auf das Geschaffene, ihr Hamster durfte das Häuschen dann bewohnen. Wir besitzen es noch heute. Es hat im Gegensatz zum Hamster überlebt. Natürlich halten wir es in Ehren, weil damit für immer ein sehr erfreuliches emotionales Erlebnis verbunden ist. Genauso geht es mir heute noch, wenn ich mein kleines Krippenhäuschen mit elektrischer Beleuchtung, das ich als Kind gebaut habe, jedes Jahr an Weihnachten wieder in unserer Krippe aufstelle.
    Voraussetzung ist natürlich, dass man solche Dinge aufbewahrt, sie als Schatz begreift, und sie über die Zeit rettet. Es ist erstaunlich: Wenn man sich mit alten Menschen unterhält, haben diese oft Kleinigkeiten von gestern vergessen, aber was für eine Seifenkiste sie als Kind gebaut haben oder wie ihr erster Puppenladen aussah, das wissen sie noch haargenau. Die emotionale Bewertung, das Glücksgefühl hat sich tief in ihr Gedächtnis eingeprägt.
    Zufällig bekam ich ich dieser Tage beim Spazierengehen mit dem Hund ein Gespräch mit, in dem ein älterer Herr seiner Begleiterin davon erzählte, wie er als Kind, es muss unmittelbar nach dem Krieggewesen sein, einen Leiterwagen gebaut und die Bauernhöfe seiner Umgebung abgeklappert hatte, mit dem Ziel, von jedem Bauern eine Kartoffel zu erbetteln. Es gelang ihm offenbar. Er wusste das so lebhaft und in Einzelheiten zu erzählen, dass es nach mehr als sechzig Jahren wie ein Erlebnis von gestern klang. Die Essenz, denke ich, liegt auch hier in der Verquickung eines eigenhändig geschaffenen Werkes, dem Leiterwagen, mit dem Erfolg, der Nahrungsbeschaffung für die Familie in schwieriger Zeit.
    Versuchen Sie sich doch einmal vorzustellen, wo, wem und für welche Arbeiten ein älteres Werkzeug schon gedient hat und was damit vielleicht Schönes entstanden ist oder repariert wurde. Das kann ein ganz wunderbarer Gedanke sein. Da kann man ein wenig ins Träumen kommen und kurzzeitig vergessen, was man eigentlich gerade mit dem Werkzeug machen wollte.
    Die Emotionen, die beim Eigenbau im Menschen aufsteigen, sind nicht zu unterschätzen. Selbst der einfachste Austausch einer defekten Komponente, etwa eines kaputten Fahrradschlauches, kann ein sehr befriedigendes Erfolgserlebnis sein. So manche Reparaturherausforderung gemeistert zu haben, kann wirklich ein kleines Glück bedeuten. In einer wegen ihrer Komplexität schier undurchschaubar gewordenen Gesellschaft habe ich ein kleines Teil herausgebrochen, mir ganz allein verfügbar gemacht, meine eigene kleine Welt erschaffen.
    Mir geht es immer so, wenn ich etwas erfolgreich repariert habe. Ich habe eine tolle Erfahrung gemacht, ein befriedigendes Erlebnis, weil mir etwas gelungen ist, bei dem ich nicht unbedingt davon ausging, dass ich es bewältigen könnte. Der größte Gewinn bei einer durchgeführten Reparatur ist nicht, dass ein defekter Gegenstand wieder funktioniert, sondern mein eigenes Erleben, dass ich etwas kann.
    Irgendwann funktionierte beispielsweise unsere Toilette nicht mehr richtig. Ständig lief Wasser, und dieser unnötige Verbrauch musste behoben werden. Nach genauerer Inspektion kam ich zu dem Schluss, dass der Heber nicht mehr seine Dienste tat, weil der Spülkasten total verkalkt war. Meine Frau meinte: „Da brauchst du bestimmt nur ein Entkalkungsmittel und eventuell eine neue Dichtung.“ Aber das war es nicht nur. Sicher, ein Installateur, der jeden Tag solche Aufgaben löst, hätte sofort gewusst, was Sache ist, aber ich nahm das Toilettenproblem als Herausforderung an, wollte der Ursache selbst auf den Grund gehen und die Aufgabe lösen. Jedenfalls: An der Dichtung lag es nicht, die war fast wie neu, sie erfüllte die ihr zugedachte Aufgabe. Angesichts

Weitere Kostenlose Bücher