Die Kultur der Reparatur (German Edition)
für alle Mal verstanden hatte, wie eine Toilettenspülung funktioniert.
Reparieren erlaubt Kapieren. Das war nun wieder mal bewiesen. Damit war ich für die Zukunft gewappnet. Denn unser kalkhaltiges Wasser würde früher oder später eine erneute ähnliche Reparatur nötig machen. Dazu hatte ich viele kleine Hürden übersprungen, viele kleine Schritte nach mechanistischer Plausibilitätsanalyse nacheinander ausgeführt, vom Abschrauben des Deckels, Zuschrauben des Wassereinlaufventils, Abschrauben des Hebers zum Ausbau des Dichtmechanismus. Und am wichtigsten: Ich hatte begriffen, dass ein Schwimmer aus Styropor über einen Hebelmechanismus funktioniert, der ab einer bestimmten Wassereinlaufhöhe im Spülkasten das vorher durch Abzug der Spülung und Absenkung des Wasserstands geöffnete Zulaufventil wieder schloss und somit die exakte Füllung des Spülkastens sicherstellte. Eine wunderbar durchdachte, einfache Kausalkette, eine Art Kreisprozess, der mir durchaus großen Respekt vor dem mir unbekannten Erfinder abverlangte.
Nun ja, es war natürlich eine Form der Anwendung des archimedischen Prinzips. Das hatte ich bei der Gelegenheit gleich noch mal in einem Buch nachgeschlagen. Wie schön es doch ist, Erklärungen für Phänomene zu finden, Naturerkenntnis in praktische Anwendung überführen zu können. Das ist die Essenz der Wertschöpfungskette unserer Wirtschaftsweise: wenn wir aus einer durch Überlegung erwachsenen Hypothese über das verifizierende Experiment einen Prototypen eines Gerätes und dann ein Produkt herstellen, das allen Menschen dient, ihr Leben erleichtert und verbessert. In einer Fernsehshow ging es einmal um die Frage der wichtigsten Erfindungen für die Menschheit. Ich nannte die Toilette mit Wasserspülung, weil sie uns buchstäblich aus den unhygienischen, krank machenden Verhältnissen des Mittelalters herausgeführt hat und jeden Tag ihre Dienste für uns leistet. Das Publikum hat dann als wichtigste Menschheitserfindung das Rad gekürt. Damit konnte ich natürlich auch leben, zumal dieses natürlich viel älter ist und meiner Liebe zur Mechanik und Kinematik entgegenkam.
Eine Erfindung praktisch während der Reparatur nachzuvollziehen, ist es wert, im Reparatureifer nicht nachzulassen, auch wenn es mal schwierig wird. Wir Menschen wollen den Dingen auf den Grund gehen, jedenfalls einfache Herausforderungen meistern können und dafür auch Bestätigung und Anerkennung durch unsere Mitmenschen ernten. Wenn wir gelernt haben, dass man durch Fehlerwahrscheinlichkeitsanalysen, durch ein systematisches Vorgehen undDurchdenken von Wirkmechanismen – so einfach sie im Einzelnen sein mögen – Befriedigung erfahren und Lob und Anerkennung bekommen kann, dann werden wir immer wieder zur Reparatur zurückkehren, ja süchtig nach ihr werden.
Wer repariert, macht vor allem, aber nicht nur im Erfolgsfall positive Erfahrungen, die sich in unser Gehirn einschreiben. Es werden chemische Stoffe ausgeschüttet, Botenstoffe, winzige Moleküle, die von einer Nervenzelle zur nächsten übergehen und somit Informationen weitergeben.
Die Glücksgefühle, die wir dabei empfinden, werden speziell durch den Botenstoff Dopamin verursacht. Dopamin ist ein Erreger, ein Stimulator und Motivator für den Körper, mit der Folge verschärfter Sensibilität, größerer Wachheit und höherer Begeisterung. Auf einmal sind wir voll bei der Sache, optimistisch, voller Selbstvertrauen und gespannter Erwartung – für die allermeisten Menschen ein großartiger Zustand. Wir erleben ihn in der Liebe, bei einem guten Schnitzel, bei einem Lottogewinn, bei guten Taten, einem Sieg im sportlichen Wettkampf oder eben bei dem erfolgreichen Abschluss einer Reparatur.
Und weil es so schön ist, möchte man es wiederholen. Nicht permanent, denn ständige Hochgefühle wären unerträglich. Aber hin und wieder eine Freude, ja Euphorie auslösende Reparaturerfahrung führt dazu, dass sich die positiven Eindrücke im Menschen verstärken. Auf diesen basiert auch mein pädagogisches Interesse: Jugendlichen wieder mehr Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Natürlich kann ich solche haben, wenn ich die schnellste Läuferin in der Schulklasse bin oder der beste Hochspringer, aber ich kann sie eben noch intensiver erfahren, wenn ich selbst etwas hergestellt habe und das noch als gelungen bezeichnet werden kann. Gerade wenn ich etwas mache, was ich zum ersten Mal versuche.
Im Jahr 2000 habe ich in unserem Garten ein Gewächshäuschen
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