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Die Kundschafter

Die Kundschafter

Titel: Die Kundschafter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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übergangslos. »Auch wenn sie in Bedrängnis gerät.«
    »Was in kurzer Zeit der Fall sein wird«, bekräftigte Mythor, »denn wir sind Kundschafter für das große Heer gegen die Caer und deren Priester.«
    In der eindringlichen Art eines eifernden Propheten fuhr der Blinde fort, beängstigende Dinge zu sagen. »Zu mir kommt nächtens El Saut, das ist die Stimme«, verkündete er, und das Echo seiner schauerlichen Visionen wurde vom Holz eines verwinkelten Ganges verschluckt. »Sie sagt mir alles, was ich wissen muss. Eines Tages ertönt das Horn, dann wird das Meer zu Land, und das Land hebt sich aus dem Wasser. Dann hole ich meine Tiere in die Käfige; willig werden sie mir folgen. Ich und meine Ziehtochter bleiben allein übrig, mit all den gehorsamen Tieren. Wer ist dieser Mann, der auf dem Rücken des Einhorns reitet?«
    »Das bin ich«, sagte der Angesprochene. »Mein Name ist Mythor.«
    »Es wartet Bier auf euch. Wundert ihr euch nicht, dass es in der Mühlenarche Bier gibt? Nein? Aber ich heile die Tiere der Bauern, und dafür bringen sie mir von weit her Essen und Bier, Wein und Gemüse.«
    Buruna, Gapolo und Mythor sahen sich lange an. Ihre Gesichter drückten Einverständnis aus. Vercin war harmlos, aber alles, was er trotz seiner Blindheit hier geschaffen hatte, ergab in seinem skurrilen Universum einen Sinn. Der Mautner, der Maut vom Wasser verlangte, El Saut, die Stimme, die langsam mahlenden Mühlen, der besessene Bau dieser Arche, irgendwelche Visionen und die Erzählungen der Bauern, dies alles ergab sein Bild der Wirklichkeit. In dieses Bild passten sogar die geräuschvollen Tiere in dem Dreieck zwischen den Wasserläufen.
    Die Fremden wurden in einer vergleichsweise winzigen Stube an den Tisch gebeten. Neben ihren Köpfen befand sich in der Außenwand ein schmaler, aber über zwei Wände laufender Schlitz, der einen hervorragend abgeschirmten Blick über den Fluss Lorana und den Bach mit dem Stauwehr gestattete. Bäume und Büsche und Uferböschung begrenzten das Blickfeld.
    Als habe Vercin die Gedanken der Fremden erraten, begann er wieder: »Ihr müsst wissen, ich war nicht immer blind. Als ich Lorana aus dem Fluss fischte, hatte ich noch mein Augenlicht. Nun ist mein Tag dunkler als eure Nacht. Dankt der Lichtwelt, dass ihr die Dinge so erkennt, wie sie sind. Lorana, beste Ziehtochter, holst du uns etwas zum Essen und ein paar Becher dunkles, schäumendes Bier? Wir haben nur Platz für Lorana und mich. Aber eben hat mit großer Klarheit El Saut zu mir gesprochen!«
    Buruna schoss immer wieder blitzende Blicke auf Lorana ab.
    Diese lächelte freundlich und fröhlich zurück und ahnte nichts von den schwarzen Empfindungen der Eifersucht, die in der dunkelhäutigen Schönheit tobten.
    »Was sagt die Stimme?« fragte Lamir und strich mit der Hand über die Saiten der Laute. Ein überraschend wohlklingender Akkord unterbrach das Hämmern, Rauschen und Klappern der unsichtbaren Geräte.
    »Zwei Dinge sagt sie«, sagte der Blinde. Er hatte einen runden Kopf mit wenig Haupthaar und einem kantigen Bart. Die Haut war braun und wettergegerbt. Die Augen wirkten wie die eines Sehenden und lagen in einem Netz tiefer Falten. Nur der ständig abirrende Blick ließ erkennen, dass der Alte wirklich blind war. Andere Sinne und Empfindungen aber hatten sich seit dem Verlust des Augenlichts geschärft.
    »Ja? Wir sind gespannt!« meinte Gapolo nervös und entsicherte die Armbrust, als das Mädchen lächelnd die vollen Becher abstellte.
    »Dieser Mythor, der Einhornreiter, hat noch andere magische Tiere. Ein räuberischer Wolf bringt Unruhe in meine Zöglinge dort draußen. Und auch ein Falke oder Adler kreist über dem Dach der Mühlenarche.«
    »Stimmt. Mir stehen Hark, der Bitterwolf, und Horus, der Schneefalke, zur Seite«, gab Mythor zu. »Aber es sind kräftige, schnelle Tiere, keine Fabelwesen. Vermutlich reißt der Wolf einen deiner Hasen, und Horus macht sich über Mäuse oder junge Enten her.«
    »Ich habe genug davon«, sagte Vercin mit wegwerfender Handbewegung. »Aber du, Mythor, würdest mit Lorana ein gutes Gespann abgeben. Ihr beide! Du, der Stammvater von Menschen, die sich nach der Flut über die Welt ausbreiten und das Land besiedeln, das nicht mehr in Schattenzone und Lichtwelt geteilt ist. Sieh dir Lorana an! Ihre Hüften sind noch schmal, und doch wird sie dir viele Söhne gebären!«
    Mythor legte eine Hand auf Burunas Arm und drückte ihn auf die Tischplatte. Die Finger der Frau spielten mit

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