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Die Kundschafter

Die Kundschafter

Titel: Die Kundschafter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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laufenden Teilen der Anlage befestigt waren. Das Sonnenlicht, das in vielen schrägen Bahnen durch die Luken einfiel, ließ die gleichförmigen Bewegungen der Gestalten zu ruckartigen Aktionen werden, wenn die Figuren das Licht kreuzten.
    »Wie lange hast du gebraucht, dies alles zu ersinnen und zu schaffen?« erkundigte sich Mythor und erschrak über das Maß der Besessenheit dieses Mannes.
    »Es waren viele Sommer und Winter. Allein an den Figuren schnitzte ich viele Monde. Und das Fällen der Bäume dauerte lange. Aber jetzt drehen sich die Räder wie die Sterne am Himmel.«
    »Die Räder der Welt!« murmelte Buruna. »Und was geschieht, wenn ein Teil bricht?«
    »Dann brechen auch andere Teile«, versuchte Lamir zu scherzen, »und wenn alles zerbrochen ist, geht die Lichtwelt unter.«
    »Nichts kann brechen. Alles ist solide und schwer. Ich kontrolliere jeden Tag die Räder und Zähne!« beschwor ihn Vercin.
    Eines Tages würde es durch das Dach regnen, dann quoll das Holz an verschiedenen Stellen auf, und die Zerstörung begann schrittweise, sagte sich Mythor. Sicherlich nicht, solange dieser alte Eiferer lebte, denn seine Ohren würden die winzigste Veränderung der Geräusche hören. Und dann würde ihn Lorana, das Flusskind, zum Schaden führen und ihm die Werkzeuge in die Finger drücken.
    Mit einem leichten Schauder warf Mythor einen letzten Blick auf das kreiselnde und rotierende Universum eines kranken Verstandes und verließ die kleine Plattform.
    »Wohin gehst du?« wollte der Blinde wissen.
    »Ich trinke mein Bier aus. Dann gehe ich zu den Pferden auf die Koppel«, entgegnete Mythor.
    »Wie nanntest du deine Tiere? Bitterwolf und Schneefalke?«
    »Ja. Hark und Horus.«
    »Ich werde sie behüten wie meine Augäpfel, nein, besser«, kicherte der Greis. »Ich denke, dass sie mich lieben werden. Ich komme mit, aber du musst mich führen.«
    »Sie können gut für sich selbst sorgen«, schwächte Mythor ab und gab Buruna mit dem Kopf ein Zeichen. Sie gingen durch das Holzlabyrinth bis zur Ausstiegskanzel und hinaus vor die Arche.
    Einerseits war Mythor froh, das auffallende Einhorn in guter Obhut zu wissen, andererseits traute er Vercin nicht sehr. Als Mythor, Buruna und Vercin den Pfad verließen und auf den flussabwärts gelegenen Wald zugingen, mischten sich abermals andere Geräusche in das Plätschern des Wassers und das Rumpeln der geheimnisvollen Räder: dumpfe Schritte, ein chaotisch brummender Gesang und unregelmäßig klatschende Geräusche, ab und zu tiefe, stöhnende Schreie.
    Zuerst dachten sie, es seien Flöße mit Kriegern. Aber je mehr die drei Personen den Grund des Tales verließen und zum Waldrand hochkletterten, desto deutlicher wurden die beängstigenden Laute. Eine Vogelschar flog aus den Zweigen und zwitscherte aufgeregt.
    Vercins Kopf fuhr in die Höhe, er lauschte und flüsterte dann: »Unruhe, Angst und Flucht! Noch schärfer als meine sind die Sinne meiner gefiederten Freunde.«
    Die Geräusche kamen Mythor nur wenige Augenblicke lang unbekannt vor. Dann wusste er genau, von wem sie stammten. »Es sind Bußgänger und Geißler. Leute aus Ugalos, die von der gelben Pest befallen sind.«
    »Viele? Und jetzt flüchten auch die Hasen und Schlangen!« rief der Blinde anklagend.
    »Bei Erain!« sagte Mythor. »Du hast recht. Rings um uns flüchten die Tiere.«
    Rehe und Hasen rotteten sich zusammen und sprangen dann in langen Fluchten oder hakenschlagend davon.
    Der dumpfe Gesang und das Klatschen der Peitschen wurden lauter. Gleichzeitig merkten Buruna und Mythor, dass über dem Land eine merkwürdige Luft hing. Sie war gleichermaßen warm und feucht, ihre Stimmung drückte nieder und ließ die Herzen schneller schlagen. Aber es war kein Regenwind, der mit dem schwachen Südwind kam. Ein warmer, ungesunder Wind, der viele böse Ahnungen weckte und den Kopf schmerzen ließ. Wieder sprang eine Gruppe rotbrauner Tiere durch das Gestrüpp. Unmittelbar vor den Kundschaftern wieherten grell mehrere Pferde.
    »Kannst du etwas sehen, Mythor? Woher kommen sie? Sind es viele?«
    Mythor kletterte auf die Querbalken der Umfriedung und spähte langsam zwischen den Baumstämmen hindurch. Nach einem langen Rundblick sah er die Bußgänger. Sie kamen aus derselben Richtung, in der er sie - oder jedenfalls einen Zug aus der beklagenswerten Stadt - vor Tagen zuletzt gesehen hatte.
    »Es sind etwa drei Dutzend«, sagte er. »Sie kommen auf die Arche zu.«
    »Sie sind auf ihre Art gefährlich«, erinnerte

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