Die Kunst, anders zu leben

Prüfungsergebnisse in Verbindung mit einem konventionellen Bewerbungsschreiben. Wie durch ein Wunder hatte ich mit meinem Vabanquespiel Erfolg und bekam tatsächlich eine Zusage. Ich erhielt sogar einen Preis in Höhe von 2000 Euro als »Top Scholar«, was mir zwar ziemlich paradox erschien – aber ich nahm die Auszeichnung trotzdem gerne an.
    Da ich mein Collegestudium ein paar Jahre zuvor im Schnelldurchgang absolviert und mich um die standardisierte Aufnahmeprüfung an der University of Washington gedrückt hatte, nahm ich an, dass mein Wissensstand weit hinter dem meiner meisten Kommilitonen liegen würde, als ich in jenem Herbst meine ersten Kurse belegte. Anfangs erwies sich diese Befürchtung als gerechtfertigt: Meine Altersgenossen warfen mit Fachbegriffen um sich, die ich noch nie gehört hatte; in manchen Kursen ging es ausschließlich um Bücher, die ich nicht gelesen hatte, und meine ersten Essays bekam ich mit unterdurchschnittlich schlechten Noten und vielen roten Anmerkungen versehen zurück.
    Doch nach dem ersten Quartal war ich um einiges klüger. Wieder belegte ich die Höchstzahl möglicher Kursstunden und begann ein Jahr vor meinen Mitstudenten mit dem Verfassen meiner Diplomarbeit. Zwei Quartale später schloss ich mein Studium mit einer ziemlich guten Durchschnittsnote und der Möglichkeit ab, weiterzustudieren und auch noch einen Doktorgrad zu erwerben; doch zu diesem Zeitpunkt war ich bereit für einen neuen Lebensabschnitt. Statt an der Abschlussfeier teilzunehmen, reiste ich für zwei Wochen nach Indien. Als ich wieder zurückkam, lag mein Diplom im Briefkasten.
    Was es kostet, zum Experten zu werden
    In der nächsten Geschichte geht es nicht um meine relativen akademischen Erfolge, 13 sondern darum, was mein Studium mir gebracht hat – und zwar im Vergleich zu dem, worauf ich damals gleichzeitig auch noch hinarbeitete: nämlich, mich zum Experten im Bereich Online-Writing zu entwickeln. Wenn das Ziel eines Universitätsstudiums darin besteht, die Studenten auf eine höhere berufliche Laufbahn vorzubereiten, ist es schließlich nur fair, das Studium hinsichtlich dieses Kriteriums mit anderen Methoden zu vergleichen.
    Wie üblich war ich auch in der ersten Hälfte des Jahres 2008 mit vielen verschiedenen Aktivitäten gleichzeitig beschäftigt. Ich nahm an einem Marathonlauf teil, bereiste über zehn Länder, beendete mein Engagement als Präsidiumsmitglied einer gemeinnützigen Organisation und machte noch viele andere Erfahrungen, die mir viel Freude bereiteten. Hier meine zwei wichtigsten Projekte:
Ich schloss mein MA-Programm an der University of Washington ab.
Ich begründete meine »Art of Non-Conformity«(AONC)-Webseite und brachte es damit in der Blogger-Community zu einem ziemlich hohen Beliebtheitsgrad.
    Während ich diese Projekte zu Ende führte, stand ich vor der Entscheidung, entweder mein Studium an der Ostküste Richtung Doktorgrad fortzusetzen oder aber im Nordwesten der USA zu bleiben und mich aufs Schreiben zu konzentrieren. Ich entschied mich fürs Schreiben, und ich will Ihnen auch erklären, warum.
    Es begann mit der Erkenntnis, dass meine Magisterarbeit insgesamt von drei Menschen gelesen worden war – ein sehr eingeschränktes Publikum, auch wenn alle drei sich positiv über meine Arbeit äußerten. Dagegen war ein Online-Manifest, das ich zur selben Zeit veröffentlicht hatte, in den ersten sechs Monaten von über 100 000 Leuten heruntergeladen (und vermutlich auch gelesen oder zumindest überflogen) worden.
    Durch diese Erfahrung wurde mir klar, dass ich mit meiner Online-Arbeit in der Welt viel mehr bewirken konnte als mit jeder Hochschulausbildung. Ich weiß, dass es zu diesem Vergleich vonseiten meiner Leser ein paar Fragen geben wird; bitte haben Sie ein wenig Geduld, ich werde versuchen, diese Fragen noch vor Ende dieses Kapitels zu beantworten. Vorerst bitte ich Sie jedoch, einen Blick auf die untenstehende Tabelle zu werfen. Akademiker stellen Daten und Fakten gerne so dar, dass man sie miteinander vergleichen kann, also wollen wir ein paar Aspekte ein bisschen genauer unter die Lupe nehmen.
Universität versus Blogosphäre
Traditionelle Methode, Fachkenntnisse zu erwerben (Universität)
Alternative Methode, Fachkenntnisse zu erwerben (Verfassen von Texten fürs Internet)
Kosten
25 000 Euro
6,35 Euro pro Monat für das Hosting (oder 4000 Euro Gesamtkosten pro Jahr)
Zeitaufwand für das Schreiben wichtiger Texte
40–50 Stunden
(Diplomarbeit)
30–40