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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Ley
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familiäre Interaktionen, Elternschaft etc.) bewegt sich ein Mensch auf den weiteren drei Ebenen. Wir werden dieses Wählen- und Wechseln-Können in den beiden folgenden Unterkapiteln weiterverfolgen.
Die vorgestellten Muster können auch als Entwicklungsmuster verstanden werden. Insbesondere bei frühen unsicheren Bindungserfahrungen sind »gemeinsames Tun« und »affektive Durchlässigkeit« vorherrschend. Der andere Mensch kann aufgrund der erlebten, oft unbewussten Angst nicht als eigenständiges Wesen erfasst werden. Bindung und Trennung finden im vorsprachlichen, vorsymbolischen Bereich statt. Neue sichere und anerkennende Bindungserfahrungen und/oder eine gelingende Psychotherapie können eine weitere Entwicklung zum »mit dem anderen sein« und zur »Intersubjektivität« ermöglichen.
    Das Erreichen des intersubjektiven, anerkennenden Gesprächs ist das Ziel der gemeinsamen therapeutischen Arbeit in einer Psychotherapie. Ein Beispiel soll dies darstellen und verdeutlichen. 23
    Selma, eine 45-jährige Frau – chronisch niedergeschlagen, mit Weinanfällen –, möchte ein weiteres Mal eine Psychotherapie machen. Nach einer ersten langen Therapie, als sie um die dreißig war, war es ihr besser gegangen. Damals hatte sie erstmals in ihrem Leben über den Unfalltod ihrer Mutter reden können. Sie hatte den Verlust der Mutter mit fünf Jahren nacherleben und um ihren plötzlichen Tod zum ersten Mal bewusst trauern können. Die Trauer stellte Selmas Niedergeschlagenheit und ihre Weinanfälle in einen neuen Bedeutungskontext. Das war bisher nicht möglich gewesen. Ihr Vater hatte das Gefühl gehabt, es sei für die beiden Kinder zu schmerzhaft, über die verstorbene Mutter zu sprechen. So wurde sie in Selmas Kindheit nie erwähnt. Sie existierte nicht. Doch Selma hatte mit fünf Jahren ihre ganze Welt verloren. Sie kam ins Internat, in ein anderes als ihr Bruder. Ihr Vater war mit seinen Kindern spürbar überfordert. Und Selma fehlte alles. Sie hatte sich und die Welt mit fünf Jahren verloren und verstand nichts mehr. So wuchs sie auf (Muster: gemeinsames Tun).
    Nach der ersten Therapie ging es Selma besser. Sie hatte sich besser kennen und verstehen gelernt. Sie heiratete und bekam mit vierzig einen Sohn, der nun selbst fünf Jahre alt ist. Er hat extreme Schwierigkeiten mit Trennungssituationen, was die Mutter sehr beschäftigt. Sie hat Angst, dass sie ihm die eigene Tragödie ihrer Kindheit aufbürden könnte. Und sie hat seit je das ausgeprägte Gefühl, es gebe bei ihr etwas, das andere Leute hätten und ihr fehle: ein Gefühl darüber, wer sie ist.
    In der zweiten Therapie gestand Selma verschämt, dass sie ihren Sohn als einen Teil ihrer selbst erlebe. Sie wisse schon, dass das nicht aufgeklärt sei. Die Faszination für ihren Sohn war zum Teil die Faszination für eine Kindheit, die sie nie gehabt bzw. verloren hatte. Gleichzeitig empfand ihr Sohn die Verlusterfahrungen seiner Mutter und ihre schreckliche Angst vorTrennung als seine eigene. Er konnte, wie Selma, nicht zwischen ihr und sich selbst unterscheiden. Er war den Gefühlen ausgeliefert (affektive Durchlässigkeit).
    Selma hat ein Faible für Extremsituationen: Bergsteigen, die Weite von Steppen, die Öde der Tundra. Sie macht selbst Extremsport. Öde und Schmerz sind zum Bezugspunkt ihres Selbstwertgefühls geworden. Es wird in der zweiten Therapie immer klarer, dass das Kind Selma infolge des Mangels von verlässlichen Elternpersonen in frühreifer Art vorzeitig und übergebührlich für sich selbst zu sorgen hatte. Dadurch fehlte ihr die Möglichkeit, sich sorglos, kindhaft, dem eigenen Erleben hinzugeben. Sie braucht heute die Extremsituationen, um sich und andere zu spüren (mit dem anderen sein).
    Dem Therapeuten – nicht Selma – erschien eine Wochenstunde Therapie als zu wenig Zeit, um mit ihr an ihren Problemen und Entbehrungen zu arbeiten. Selma wollte bei dieser einen Stunde pro Woche bleiben. Sie wollte die Kontrolle behalten. Einmal beklagte sie sich bitter, wie unpersönlich der Therapeut sie begrüße und verabschiede. Der Therapeut, der sich selbst Selma gegenüber zurückhielt und kontrollierte, versuchte sich daraufhin in einer persönlicheren, herzlicheren Art der Begrüßung und Verabschiedung. Einige Monate später entschied sich Selma, zweimal pro Woche zu einer Sitzung zu kommen. Etwas in ihr hatte sich in ihrem Umgang mit Nähe und Abstand, mit Anwesenheit und Verlust verändert.
    Sie erlebte die Stunden als Oasen, die

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