Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
Gebäude kollabierte.« Der Vorsitzende fragte: »Sie realisierten also, dass Ihre Sicht der Welt, Ihr Gedankenmodell, falsch war?« »Präzise«, antwortete Greenspan. Damit meinte er die Theorie, dass die Wirtschaft über die Geldmenge zu steuern sei. Trotzdem halten die Regierungen der westlichen Welt bis heute eisern an dieser Theorie fest – mit allen Konsequenzen in puncto Verschuldung, Börsenkurse, Lebensstandard und Inflation. Und das nur, weil keine Alternative in Sicht ist – der typische Aderlasseffekt .
Der Aderlasseffekt spielt auch im Privaten eine Rolle. Wenn Sie intellektuell nicht ausbluten wollen, überprüfen Sie deshalb Ihre Anlagestrategie, Ihre Lebensphilosophie und Ihre Ansichten über andere Menschen regelmäßig. Wenn die Tatsachen gegen Ihre Theorien sprechen, geben Sie diese sofort auf. Und, wichtiger noch: Warten Sie nicht, bis Sie eine »bessere« Theorie gefunden haben. Das könnte 2.000 Jahre dauern.
WARUM SELBST GEMACHT BESSER SCHMECKT
Not-Invented-Here-Syndrom
Meine Kochkünste sind bescheiden, das weiß auch meine Frau. Und doch gelingt mir ab und zu ein Gericht, das man als essbar bezeichnen könnte. Vor einigen Wochen kaufte ich zwei Seezungen. Um der Langeweile bekannter Fischsoßen zu entgehen, erfand ich eine neue – eine waghalsige Kombination aus Weißwein, pürierten Pistazien, Honig, geraspelten Orangenschalen und einem Schuss Balsamico. Meine Frau zog die gebratene Seezunge auf den Tellerrand und streifte mit dem Messer die Soße vom Fisch, dazu lächelte sie entschuldigend. Mir hingegen schmeckte die Soße nicht schlecht. Ich erklärte ihr im Detail, welch kühne Kreation sie hier verpasse – was nichts an ihrem Gesichtsausdruck änderte.
Zwei Wochen später gab es wieder Seezunge. Diesmal kochte meine Frau. Sie hatte zwei Soßen parat. Zum einen ihre etablierte Butterschwitze, zum anderen die »Kreation eines französischen Top-Chefs«. Die zweite schmeckte scheußlich. Nach dem Essen gestand sie, dass es sich nicht um die Kreation eines französischen Top-Chefs handelte, sondern um meine eigene Kreation, die ich vor zwei Wochen ausprobiert hatte. Sie wollte mich testen und hatte mich aus Spaß dem Not-Invented-Here-Syndrom ( NIH-Syndrom ) überführt: Man findet alles schlecht, was »nicht hier erfunden« ist.
Das NIH-Syndrom bringt einen dazu, sich in die eigenen Ideen zu verlieben. Das gilt nicht nur für Fischsoßen, sondern für alle Arten von Lösungen, Geschäftsideen und Erfindungen. Firmen tendieren dazu, intern entwickelte Ideen als besser und wichtiger einzuschätzen als Lösungen von externen Anbietern, selbst wenn diese objektiv besser sind. Ich hatte vor Kurzem Lunch mit dem Geschäftsführer einer Softwarefirma, die sich auf Krankenkassen spezialisiert hat. Er erzählte mir, wie schwierig es sei, seine Software – in puncto Bedienung, Sicherheit und Funktionalität objektiv führend – den potenziellen Kunden schmackhaft zu machen. Die meisten Versicherer seien überzeugt, dass die beste Software genau jene ist, die sie selbst, im eigenen Haus, entwickelt haben.
Wenn Menschen zusammenkommen, um Lösungen zu finden, und diese gleich selbst bewerten, lässt sich das NIH-Syndrom schön beobachten. Die eigene Idee ist stets die beste. Sinnvoll ist es deshalb, Teams in zwei Gruppen aufzuspalten. Die eine Hälfte generiert Ideen, die andere bewertet – danach umgekehrt.
Geschäftsideen, die wir selbst erfunden haben, empfinden wir als erfolgreicher als Geschäftsideen von anderen. Das Syndrom ist verantwortlich für blühendes Unternehmertum. Und leider auch für die größtenteils miserablen Renditen von Start-ups.
Im Buch The Upside of Irrationality beschreibt der Psychologe Dan Ariely, wie er das NIH-Syndrom gemessen hat. Im Blog der New York Times bat er Leser, Antworten auf sechs Probleme zu geben. Zum Beispiel: »Wie können Städte den Wasserverbrauch senken, ohne per Gesetz den Verbrauch zu limitieren?« Die Leser sollten nicht nur Vorschläge machen, sondern ihre eigene Antwort und die Antworten der andern auf Anwendbarkeit beurteilen. Auch mussten sie angeben, wie viel Freizeit und eigenes Geld sie in die jeweilige Lösung investieren würden. Dazu kam, dass die Leser ihre Antworten aus einer Selektion von nur 50 Wörtern zusammensetzen durften – was sicherstellte, dass alle mehr oder weniger die gleichen Antworten gaben. Trotzdem: Die eigene Antwort wurde von der Mehrheit für wichtiger und anwendbarer gehalten als die fremden
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