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Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)

Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)

Titel: Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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einer Reihenfolge von Eindrücken sofort gehandelt werden, ist der Primäreffekt stärker. Beim Beispiel von Alain und Ben waren Sie gezwungen, sofort eine Gesamtbeurteilung der beiden Persönlichkeiten vorzunehmen. Liegen die Eindrücke hingegen einige Zeit zurück, überwiegt der Rezenzeffekt . Erinnern Sie sich an eine Rede, die Sie vor Wochen gehört haben, dann wird Ihnen vor allem der Schluss, die Pointe in Erinnerung geblieben sein.
    Fazit: Eindrücke in der Mitte wirken unterdurchschnittlich – sei es die Mitte einer Rede, eines Verkaufsgesprächs, eines Buches. Beurteilen Sie Dinge nicht nach dem ersten Eindruck. Er täuscht garantiert – in die eine oder andere Richtung. Versuchen Sie, alle Aspekte eines Menschen unvoreingenommen zu beurteilen. Das ist nicht einfach, aber in gewissen Situationen durchaus möglich. Bei einem Bewerbungsgespräch zum Beispiel notiere ich mir alle fünf Minuten eine Note und berechne im Nachhinein den Durchschnitt. So stelle ich sicher, dass die »Mitte« ebenso zählt wie der erste und der letzte Eindruck.



WARUM WIR KEIN GEFÜHL FÜR DAS NICHTWISSEN HABEN
    Aderlasseffekt
    Ein Mann wird zum Arzt gebracht. Dieser schneidet ihm die Arterie des Unterarms auf und lässt das Blut herausspritzen – einen halben Liter. Der Mann fällt in Ohnmacht. Am nächsten Tag muss er fünf weitere Aderlässe über sich ergehen lassen. Bei den letzten drei Prozeduren will das Blut nicht mehr richtig herausschießen, also setzt der Arzt einen Glaskolben gefüllt mit heißer Luft an die Wunde. Die Luft kühlt sich ab, entwickelt ein Vakuum, und saugt das Blut aus dem Arm. Der Mann liegt nun halb tot mit sechs Schnittwunden im Bett. Jetzt setzt der Arzt Blutegel an die empfindlichsten Stellen der Wunden. Die Würmer saugen sich langsam voll. Wenn sie prall sind und vor Blut fast platzen, werden neue, hungrige Egel angesetzt. Nach drei Monaten wird der Patient entlassen – wenn er nicht gestorben ist.
    Dieses Verfahren war gang und gäbe bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Die Idee des Aderlasses gründet auf der »Viersäftelehre« des Körpers. Nach dieser Theorie sind alle Krankheiten auf ein Ungleichgewicht von vier Säften – gelbe Galle, schwarze Galle, Schleim und Blut – zurückzuführen. Bei Akne, Asthma, Cholera, Diabetes, Epilepsie, Pest, Hirnschlag, Tuberkulose und hundert anderen Krankheiten hat der Körper angeblich zu viel Blut – darum Aderlass. Allein in den 1830er-Jahren importierte Frankreich deshalb über 40 Millionen Blutegel. Die Viersäftelehre hat die Medizin über 2.000 Jahre lang dominiert. Kaum eine andere wissenschaftliche Theorie konnte sich so lange halten, und das, obwohl sie kompletter Humbug war. Den meisten Patienten ging es ohne Aderlass nachweislich besser – was auch den Ärzten nicht verborgen blieb.
    2.000 Jahre lang hat sich das medizinische Establishment an eine falsche Theorie geklammert – entgegen aller Evidenz. Warum? So unglaublich es klingt, aber die Viersäftelehre des Körpers ist exemplarisch für alle Theorien, die sich mit komplexen Systemen – Mensch, Börse, Kriege, Städte, Ökosysteme, Unternehmen – befassen. Wir geben eine falsche Theorie nicht auf, wenn sie sich als falsch erweist, sondern erst, wenn eine bessere in Sicht ist. Das ist alles andere als rational, aber keineswegs die Ausnahme. Nennen wir es den Aderlasseffekt .
    Immer wieder befinden wir uns im Leben zwischen zwei Jobs, zwei Wohnorten oder Beziehungen – niemals aber zwischen zwei Ansichten. Stoßen wir eine weg, nehmen wir sofort eine neue an. Wir sind wie beziehungsunfähige Männer, die keinen Tag ohne Frau aushalten. Ansichten fühlen sich nur entweder »richtig« oder »falsch« an. Bewusste Ignoranz – die Einsicht, etwas (noch) nicht zu wissen – hat keinen Platz in unserer Gefühlswelt. Wir wissen nicht, wie sich das Nichtwissen anfühlen soll. Darum sind wir besser im Theorienerfinden als im Zugeben unserer Ignoranz. Das fiel zuerst dem Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn auf: Theorien kollabieren nie unter dem Gewicht ihrer eigenen Fehler. Sie kollabieren erst, wenn eine andere, scheinbar bessere Theorie vorhanden ist.
    Warum ist das schlimm? Weil es diese bessere Theorie oft noch nicht gibt. Jahrzehntelang wurde der amerikanischen Notenbanker Alan Greenspan als Halbgott verehrt. Im Herbst 2008 implodierten die Finanzmärkte, und zumindest Greenspan wurde selbstkritisch. Vor den Kongressausschuss zitiert, sagte er aus: »Das ganze intellektuelle

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