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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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hypnotisiert. Du kannst nicht selbständig handeln.
    Davon kann nur eine Frau dich befreien.
    Zum Auftakt will ich dir die Geschichte meines Lebens erzählen, und dabei werden dir manche Dinge klarwerden. Ich werde sie dir in kleinen Portionen erzählen müssen, also wirst du recht oft herkommen müssen.«
    Ihre sichtliche Bereitschaft, mir etwas über ihr Leben zu erzählen, verblüffte mich, denn dies stand im Widerspruch zur Abneigung aller anderen, irgendwelche persönlichen Dinge mitzuteilen. Nach all den Jahren zusammen mit Don Juans Kriegern hatte ich mich so an deren zurückhaltende Art gewöhnt, daß mir nun Florindas Absicht, freiwillig über ihr Leben zu sprechen, etwas komisch vorkam. Ich war augenblicklich auf der Hut.
    »Entschuldige bitte«, sagte ich. »Wolltest du damit sagen, daß du mir etwas aus deinem Privatleben erzählen wirst?«
    »Warum nicht?« fragte sie.
    Als Antwort erklärte ich ihr ausführlich, was Don Juan mir über die hemmende Macht der persönlichen Geschichte gesagt hatte, und über die Notwendigkeit des Kriegers, sie auszulöschen. Um mich noch deutlicher auszudrücken, sagte ich ihr, daß er mir verboten habe, jemals über mein Leben zu sprechen.
    Sie lachte mit einer hohen Falsettstimme. Sie schien sich zu amüsieren.
    »Das gilt nur für Männer«, sagte sie. »Das Nicht-Tun deines persönlichen Lebens ist, daß du endlose Geschichten erzählst, aber keine einzige über dein wirkliches Selbst. Siehst du, ein Mann zu sein heißt, daß du eine solide Geschichte hinter dir hast. Du hast Familie, Freunde, Bekannte, und jeder hat eine bestimmte Vorstellung von dir. Ein Mann zu sein bedeutet, daß du verantwortlich bist. Du kannst nicht so leicht verschwinden. Dich auslöschen, das würde dich viel Arbeit kosten. Bei mir liegen die Dinge anders. Ich bin eine Frau, und das gibt mir einen herrlichen Vorteil. Ich bin nicht verantwortlich. Weißt du denn nicht, daß Frauen nicht verantwortlich sind?«
    »Ich weiß nicht, was du unter verantwortlich verstehst«, sagte ich.
    »Ich meine, daß eine Frau leicht verschwinden kann«, erwiderte sie. »Eine Frau kann zumindest heiraten. Eine Frau gehört zu ihrem Mann. In einer Familie mit vielen Kindern werden die Töchter leicht übergangen. Niemand rechnet mit ihnen, und es wäre möglich, daß einige von ihnen spurlos verschwinden. Ihr Verschwinden wird leicht verwunden.
    Ein Sohn dagegen ist jemand, auf den man baut. Für einen Sohn ist es nicht so einfach, hinauszuschlüpfen und zu verschwinden. Und selbst wenn er es täte, hinterlässt er eine Spur.
    Ein Sohn fühlt sich schuldig dafür, daß er verschwindet. Eine Tochter nicht.
    Als der Nagual dich lehrte, deinen Mund zu halten und nichts über deine Lebensgeschichte zu erzählen, wollte er dir helfen, dein Gefühl zu überwinden, als hättest du deinen Freunden und deiner Familie unrecht getan, die so oder so mit dir rechneten.
    Nach einem lebenslangen Kampf mag es einem männlichen Krieger wohl gelingen, sich selbst auszulöschen, aber dieser Kampf fordert von dem Mann seinen Tribut. Er wird verschwiegen und ist immer vor sich selbst auf der Hut. Eine Frau braucht sich nicht so hart zu beschränken.
    Eine Frau ist immer bereit, sich in Luft aufzulösen. Ja, das wird sogar von ihr erwartet.
    Als Frau bin ich nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ich pfeife darauf. Verschwiegenheit ist der Preis, den ihr Männer bezahlen müßt, damit ihr wichtige Rollen in der Gesellschaft spielen könnt. Der Kampf ist nur etwas für die Männer, weil sie es verabscheuen, sich auszulöschen, und immer wieder Möglichkeiten finden, sich irgendwie, irgendwo vorzudrängen. Sieh dich an, zum Beispiel; du rennst herum und hältst Vorträge.«
    Florinda machte mich eigenartig nervös. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich seltsam befangen.
    Ich kann ohne weiteres zugeben, daß auch Don Juan und Silvio Manuel mich einschüchtern konnten, aber das war ein anderes Gefühl. Vor ihnen hatte ich tatsächlich Angst, besonders vor Silvio Manuel. Er erschreckte mich, und doch hatte ich gelernt, mit meinem Schrecken zu leben. Florinda machte mir keine Angst. Meine Nervosität kam eher daher, daß ihr savoir faire mich störte und bedrohte.
    Sie starrte mich nicht an, wie Don Juan oder Silvio Manuel es zu tun pflegten. Diese beiden fixierten mich immer mit ihren Blicken, bis ich mit einer Geste der Unterwerfung mein Gesicht abwandte. Florinda warf mir nur kurze Blicke zu. Ihre Augen wanderten dauernd hierhin und

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