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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Augen, aber sie trösteten mich nicht.
    Die letzte Stunde des Nachmittags hatte für Don Juan immer eine besondere Bedeutung gehabt.
    Ich hatte seine Vorliebe für diese Stunde übernommen und auch seine Überzeugung, daß, falls mir etwas Wichtiges zustoßen sollte, es um diese Zeit geschehen würde.
    La Gorda legte ihren Kopf an meine Schulter. Ich lehnte meinen Kopf gegen ihren Kopf. In dieser Haltung blieben wir eine Weile sitzen. Ich fühlte mich entspannt. Meine Erregung war von mir abgefallen. Es war merkwürdig, daß diese bloße Geste, meinen Kopf gegen la Gordas Kopf zu lehnen, mir solchen Frieden bringen konnte. Ich wollte einen Scherz machen und ihr sagen, daß wir unsere Köpfe zusammenbinden sollten. Dann wußte ich, daß sie mich tatsächlich beim Wort nehmen würde.
    Mein Körper schüttelte sich vor Lachen, und da erkannte ich, daß ich schlief, und doch waren meine Augen offen; ich hätte aufstehen können, wenn ich es wirklich gewollt hätte; ich wollte mich aber nicht bewegen, und so blieb ich sitzen, hellwach und doch schlafend. Ich sah, wie die Leute vorübergingen und uns anstarrten. Es machte mir nicht das mindeste aus. Normalerweise wäre es mir unangenehm gewesen, so aufzufallen. Dann auf einmal verwandelten die Menschen vor mir sich in sehr große Flecken weißen Lichts. Zum erstenmal in meinem Leben erblickte ich längere Zeit die leuchtenden Eier. Don Juan hatte mir gesagt, daß die Menschen dem Sehenden als leuchtende Wesen erscheinen. Ich hatte schon früher blitzartig solche Wahrnehmungen gehabt, aber noch nie vorher konnte ich meinen Blick auf sie fixieren, wie ich es an diesem Tag tat.
    Anfangs waren die Lichtflecken noch ganz amorph. Es war, als ob meine Augen nicht auf die richtige Brennweite eingestellt wären. Dann war es auf einmal, als ob ich endlich meinen Blick angepaßt hätte, und die Flecken weißen Lichts wurden länglich, wie leuchtende Eier. Sie waren groß, ja tatsächlich, sie waren riesig, vielleicht sieben Fuß hoch und vier Fuß breit, oder sogar noch größer.
    Irgendwann fiel mir auf, daß die Eier sich nicht mehr bewegten. Ich sah eine feste leuchtende Masse vor mir. Die Eier beobachteten mich; sie türmten sich gefährlich vor mir auf. Ich bewegte mich vorsichtig und setzte mich aufrecht. La Gorda schlief tief an meiner Schulter. Wir waren von einer Gruppe von Halbwüchsigen umgeben. Sie mochten glauben, wir seien
    betrunken. Sie äfften uns nach. Der keckste Junge befühlte la Gordas Brust. Ich rüttelte sie wach. Wir standen auf und gingen rasch fort. Sie folgten uns, wobei sie uns verhöhnten und Gemeinheiten brüllten. Ein Polizist an der Straßenecke brachte sie davon ab, uns weiter zu belästigen. In völligem Schweigen gingen wir von der Plaza bis zu der Stelle, wo ich meinen Wagen geparkt hatte. Es wurde schon bald Abend. Plötzlich packte la Gorda mich am Arm. Ihre Augen funkelten wild, ihr Mund stand offen. Sie deutete nach vorn.
    »Sieh! Sieh!« schrie sie. »Dort sind der Nagual und Genaro! «
    Ich sah zwei Männer, die einen Häuserblock vor uns um die Ecke bogen. La Gorda rannte los.
    Ich rannte hinterher und fragte sie, ob sie sich sicher sei. Sie war ganz außer sich. Als sie aufgeblickt hatte, so sagte sie, hätten Don Juan und Don Genaro sie angestarrt. Als ihre Blicke sich trafen, hätten sie sich abgewandt.
    Als wir diese Straßenecke erreichten, gingen die beiden Männer noch immer in gleicher Entfernung vor uns. Ich konnte ihre Gesichter nicht erkennen. Sie waren wie Mexikaner vom Lande gekleidet. Beide trugen Strohhüte. Der eine war stämmig wie Don Juan, der andere war schlank wie Don Genaro. Die beiden Männer bogen wieder um eine Ecke, und wir rannten
    wieder lärmend hinter ihnen her. Die Straße, in die sie eingebogen waren, war menschenleer und führte zum Stadtrand hinaus. Sie machte einen leichten Bogen nach links. Die beiden Männer befanden sich gerade an der Stelle, wo die Straße abbog. Und genau in diesem Augenblick geschah etwas, das mich an die Möglichkeit glauben ließ, daß es tatsächlich Don Juan und Don Genaro waren. Es war eine Bewegung, die der kleinere Mann machte. Er wandte uns Dreiviertel seines Profils zu und neigte den Kopf, als wolle er uns bedeuten, ihnen zu folgen - etwas, das Don Genaro zu tun pflegte, wenn wir draußen im Wald waren. Er lief immer vor mir her, wobei er mich mit einer solchen Kopfbewegung neckte und aufforderte, ihn einzuholen.
    La Gorda fing laut an zu schreien: »Nagual! Genaro!

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