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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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hatte damals stattgefunden. Ich hatte in allen Einzelheiten darüber nachgedacht, es aber ins Reich der ganz privaten Spekulation verwiesen. Ich wußte keine zureichende Erklärung dafür, abgesehen davon, daß die emotionale Spannung des Augenblicks mich auf unbegreifliche Art beeinflußt hatte.
    Als ich damals in ihr Haus kam und den vier Frauen gegenübertrat, wußte ich im Bruchteil einer Sekunde, daß ich meine gewohnte Art der Wahrnehmung verändern konnte. Ich sah vier amorphe Blasen von sehr intensivem, bernsteinfarbenem Licht vor mir. Die eine war sanfter, angenehmer. Die anderen waren unfreundlich, von einem scharfen, weißlichen Bernsteinglanz.
    Die sanfter leuchtende Blase war la Gorda. Und in diesem Augenblick ragten die drei unfreundlichen leuchtenden Blasen bedrohlich über ihr.
    Die weißlich leuchtende Blase, die mir am nächsten stand - es war Josefina -, war ein wenig aus dem Gleichgewicht. Sie hing vornüber, darum stieß ich sie an. Die beiden anderen stubste ich mit dem Fuß in eine Vertiefung, die sie beide an der rechten Seite aufwiesen. Nicht daß ich bewußt gedacht hätte, ich sollte sie dort anstubsen. Ich fand einfach diese Delle einladend, irgendwie forderte sie mich auf, meinen Fuß hineinzusetzen. Die Folgen waren verheerend. Lydia und Rosa fielen auf der Stelle in Ohnmacht. Ich hatte sie beide gegen den rechten Schenkel getreten.
    Es war kein Tritt, der ihnen am Ende die Knochen hätte brechen können - ich stieß nur leicht mit dem Fuß gegen die Lichtblasen vor mir -, und doch war es, als hätte ich ihnen einen wüsten Schlag gegen die verletzlichsten Körperteile versetzt.
    La Gorda hatte recht. Ich hatte ein Wissen aufgeboten, von dem ich nichts wußte. Falls dies »Sehen« sein sollte, dann folgte daraus für meinen Verstand der logische Schluß, daß das »Sehen« ein körperliches Wissen sei. Das Überwiegen der visuellen Empfindungen beeinflußt dieses körperliche Wissen und gibt ihm den Anschein, als wäre es Blick-orientiert. Doch was ich erlebte, war alles andere als visueller Natur. Ich »sah« die Lichtblasen mit etwas anderem als meinen Augen, denn während der ganzen Zeit, die ich mich mit den vier Frauen beschäftigte, war mir bewußt, daß sie selbst sich in meinem Gesichtsfeld befanden. Es war nicht einmal so, als hätten die Lichtblasen ihre Gestalten überlagert. Die zwei Bilder waren voneinander getrennt. Was die Angelegenheit für mich komplizierte, war die Frage der Zeit. Alles war auf ein paar Sekunden zusammengedrängt. Wenn ich von einer Szene zur anderen wechselte, dann mußte dieser Wechsel so rasch vonstatten gehen, daß er bedeutungslos wurde; daher kann ich mich nur daran erinnern, zwei getrennte Szenen gleichzeitig wahrgenommen zu haben.
    Nachdem ich die Lichtblasen getreten hatte, kam die sanftere - la Gorda - zu mir; sie kam nicht direkt zu mir her, sondern strebte links an mir vorbei, und zwar schon von dem Moment an, als sie sich in Bewegung setzte; offenbar beabsichtigte sie, mich zu verfehlen, und als daher das Leuchten an mir vorüberschwebte, griff ich danach. Während ich damit auf dem Boden umherrollte, hatte ich das Gefühl, als löste ich mich darin auf. Dies war der einzige Augenblick, da ich das Gefühl zeitlicher Kontinuität verlor. Ich wurde erst wieder meiner selbst bewußt, als la Gorda meine Hände streichelte.
    »Bei unserem >Träumen (haben die Schwesterchen und ich gelernt, unsere Hände zu verschränken«, sagte la Gorda. »Wir wissen, wie man eine Kette bildet. Unser Problem damals war nur, daß wir diese Kette noch nie außerhalb unseres Zimmers gebildet hatten. Das war der Grund, warum sie mich ins Haus zerrten. Dein Körper wußte, was es bedeutete, wenn wir unsere Hände verschränkten. Hätten wir es getan, dann wäre ich in ihrer Macht gewesen. Sie sind gewalttätiger als ich. Ihre Körper sind fest versiegelt; sie haben mit Sex nichts im Sinn. Ich wohl. Das macht mich schwächer. Ich bin mir sicher, daß dein Interesse an Sex es dir so schwer macht, dein Wissen aufzubieten.«
    Sie redete weiter über die schwächenden Folgen der Sexualität. Ich fühlte mich unbehaglich.
    Ich versuchte das Gespräch von diesem Thema fort zu lenken, aber sie schien entschlossen, es ohne Rücksicht auf mein Unbehagen wieder aufzunehmen.
    »Komm, du und ich, wir fahren nach Mexico City«, sagte ich aus Verzweiflung.
    Ich glaubte, ich hätte sie schockiert. Sie antwortete nicht. Sie spitzte die Lippen und kniff die Augen zusammen. Sie

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