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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Wartet!«
    Sie rannte voraus. Die beiden Männer gingen rasch auf ein paar Hütten zu, die im Halbdunkel kaum sichtbar waren. Vielleicht waren sie in eine von ihnen eingetreten oder in eine der vielen Gäßchen abgebogen; jedenfalls waren sie plötzlich verschwunden.
    La Gorda stand da und schrie ohne Scheu ihre Namen. Leute kamen herbei, um nachzusehen, wer da schrie. Ich hielt sie fest, bis sie sich beruhigt hatte.
    »Sie waren direkt vor mir«, sagte sie weinend. »Nicht mal drei Meter entfernt. Als ich aufschrie und dich auf sie aufmerksam machte, waren sie augenblicklich einen Block weit entfernt.«
    Ich versuchte sie zu beschwichtigen. Sie war ein Ausbund an Nervosität. Sie klammerte sich zitternd an mich. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war ich mir absolut sicher, daß die beiden Männer nicht Don Juan und Don Genaro gewesen waren, daher konnte ich la Gordas
    Erregung nicht teilen. Sie meinte, wir müßten umkehren und nach Hause fahren, denn die Kraft erlaubte ihr nicht, mit mir nach Los Angeles oder auch nur nach Mexico City zu fahren. Es war noch nicht Zeit für ihre Reise. Sie war überzeugt, daß es ein Omen war, die beiden gesehen zu haben. Als sie verschwanden, hatten sie nach Osten gedeutet; in die Richtung von la Gordas Heimatstadt.
    Ich hatte nichts dagegen, sofort die Heimreise anzutreten. Nach allem, was uns an diesem Tag widerfahren war, hätte ich eigentlich todmüde sein sollen, aber statt dessen vibrierte ich vor ganz ungewöhnlicher Energie, und es erinnerte mich an die Zeiten mit Don Juan, als mir danach zumute war, mit der Schulter Mauern einzustoßen.
    Auf dem Rückweg zu meinem Wagen war ich wieder von leidenschaftlichster Zuneigung zu la Gorda erfüllt. Ich wußte nicht, wie ich ihr für ihre Hilfe danken sollte. Was immer sie getan hatte, um mir zu helfen, die leuchtenden Eier zu »sehen«, so dachte ich, hatte gewirkt. Sie war so mutig gewesen, hatte Lächerlichkeit und sogar körperlichen Schaden riskiert, als wir auf jener Bank saßen. Ich sprach ihr meinen Dank aus. Sie sah mich an, als ob ich verrückt geworden wäre, und brach dann in ein herzliches Gelächter aus.
    »Das gleiche dachte ich eben von dir«, sagte sie. »Ich dachte, du hättest es nur für mich getan.
    Auch ich sah leuchtende Eier. Es war auch für mich das erste Mal. Wir haben zusammen gesehen! Wie der Nagual und Genaro es zu tun pflegten.«
    Als ich la Gorda den Wagenschlag aufhielt, kam mir mit voller Wucht zu Bewußtsein, was wir getan hatten. Bis dahin war ich wie betäubt gewesen. Irgend etwas in mir war verlangsamt gewesen. Jetzt war meine Euphorie so heftig wie vorhin la Gordas Erregung. Ich wollte auf die Straße hinausrennen und schreien. Jetzt war es an la Gorda, mich zu besänftigen. Sie hockte sich nieder und massierte mir die Waden. Seltsamerweise wurde ich sofort ruhig. Ich stellte fest, daß mir das Sprechen schwerfiel. Meine Gedanken liefen schneller, als ich sie ausdrücken konnte. Ich wollte nicht gleich in la Gordas Heimatstadt zurückfahren. Es schien, als gäbe es noch so viel zu tun. Da ich la Gorda nicht deutlich erklären konnte, was ich wollte, zerrte ich eine widerstrebende Gorda praktisch auf die Plaza zurück, aber zu dieser Stunde gab es dort keine freien Bänke mehr. Ich war förmlich ausgehungert, daher zog ich sie in ein Restaurant.
    Sie meinte, sie könne nichts essen, aber als dann das Essen kam, zeigte es sich, daß sie genauso hungrig war wie ich. Das Essen entspannte uns gänzlich.
    Später am Abend setzten wir uns wieder auf die Bank. Ich hatte darauf verzichtet, über das zu reden, was uns geschehen war, bis wir wieder dort sitzen konnten. La Gorda war anfangs nicht bereit, etwas zu sagen. Mein Geist war in einem seltsam gehobenen Zustand. Ähnliche Momente hatte ich schon mit Don Juan erlebt, aber sie hatten in der Regel mit den Nachwirkungen halluzinogener Pflanzen zu tun.
    Ich begann la Gorda zu schildern, was ich »gesehen« hatte. Was mich an den leuchtenden Eiern am meisten beeindruckt hatte, war ihre Fortbewegung. Sie gingen nicht, vielmehr bewegten sie sich schwebend, und doch standen sie fest am Boden. Die Art, wie sie sich bewegten, war nicht angenehm. Ihre Bewegungen waren steif, hölzern und ruckartig. Wenn sie in Bewegung waren, wurde die ganze Eiform kleiner und rundlicher; irgendwie sprangen oder ruckten oder zappelten sie mit großer Geschwindigkeit auf und ab. Das Ergebnis war ein höchst beunruhigendes Zittern. Vielleicht kann ich das körperliche

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