Die Kunst des Pirschens
»Du nahmst mich zu irgendwelchen Felsen mit und zeigtest mir, wie man sich versteckt. Bei mir war es kein vermischter Traum. Ich war wach. Eines Tages ging ich mit Benigno spazieren, wir suchten Kräuter, und auf einmal erinnerte ich mich an das, was du mich gelehrt hattest. Also versteckte ich mich, wie du es mir gezeigt hattest, und jagte Benigno damit einen furchtbaren Schrecken ein.« »Ich dich gelehrt! Wie könnte das sein? Wann?« fragte ich.
Ich fing an nervös zu werden. Sie schienen keineswegs zu scherzen.
»Wann? Das ist's ja gerade«, sagte Nestor. »Wir können nicht herausfinden, wann es war. Aber Benigno und ich wissen, daß du es warst. «
Ich fühlte mich bedrückt. Das Atmen fiel mir schwer. Ich fürchtete, daß mir schon wieder schlecht würde. Da beschloß ich, ihnen jetzt und hier zu erzählen, was la Gerda und ich »zusammen gesehen« hatten. Das Sprechen über diese Dinge entspannte mich. Am Ende meines Berichts hatte ich mich wieder unter Kontrolle.
»Der Nagual Juan Matus hat uns ein wenig offen gelassen«, sagte Nestor. »Wir alle können ein wenig sehen. Wir sehen Löcher bei Menschen, die Kinder hatten, und manchmal auch einen schwachen Glanz an den Menschen.
Nachdem du nun gar nicht sehen kannst, scheint es so, als hätte der Nagual dich völlig geschlossen gelassen, so daß du dich selbst von innen öffnen wirst. Jetzt hast du la Gorda geholfen, und entweder sieht sie von innen, oder sie hängt sich nur an dich an.«
Was in Oaxaca geschehen war, so sagte ich ihnen, könnte vielleicht ein glücklicher Zufall gewesen sein.
Pablito meinte, wir sollten zu Genaros Lieblingsfelsen gehen und unsere Köpfe zusammenstecken. Die anderen beiden fanden die Idee großartig. Ich hatte keine Einwände.
Obwohl wir eine ganze Weile dort saßen, geschah nichts. Aber wir waren schließlich sehr entspannt.
Während wir noch auf dem Felsen saßen, erzählte ich ihnen von den beiden Männern, die la Gorda für Don Juan und Don Genaro gehalten hatte. Sie glitten von dem Stein herab und zerrten mich buchstäblich zu la Gordas Haus. Nestor war am stärksten erregt. Er benahm sich beinahe widersinnig. Ich konnte lediglich aus ihnen herausbringen, daß sie auf ein Zeichen dieser Art gewartet hatten.
La Gorda erwartete uns vor der Tür. Sie wußte, daß ich es ihnen erzählt hatte.
»Ich wollte nur meinem Körper Zeit lassen«, sagte sie, noch bevor jemand etwas sagte. »Ich muß mir todsicher sein, und das bin ich jetzt. Es waren der Nagual und Genaro.«
»Was ist in diesen Schuppen?« fragte Nestor. »Sie sind nicht hineingegangen«, sagte la Gorda.
»Sie gingen aufs offene Feld hinaus, nach Osten. In Richtung dieser Stadt.«
Sie schien eher geneigt, die anderen zu beschwichtigen. Sie bat sie zu bleiben, aber sie wollten nicht. Sie entschuldigten sich und gingen. Ich war mir sicher, daß sie sich in la Gordas Anwesenheit unsicher fühlten. Sie war sehr zornig, wie mir schien. Ich dagegen genoß ihre Gefühlsausbrüche, und dies stand ganz im Gegensatz zu meinem sonstigen Verhalten. In Gegenwart eines Menschen, der aus der Fassung geriet, hatte ich mich immer befangen gefühlt - und la Gorda war die rätselhafte Ausnahme.
In den frühen Abendstunden kamen wir alle in la Gordas Zimmer zusammen. Alle wirkten irgendwie besorgt. Sie saßen schweigend da und starrten auf den Boden. La Gorda versuchte ein Gespräch anzufangen. Sie sagte, sie sei in der Zwischenzeit nicht müßig gewesen, sie hätte zwei und zwei zusammengezählt und eine Lösung gefunden.
»Dies ist eine Sache, bei der es nicht darum geht, zwei und zwei zusammenzuzählen«, sagte Nestor. »Dies ist eine Aufgabe, bei der es darum geht, sich mit dem Körper zu erinnern.«
Nach dem zustimmenden Kopfnicken zu urteilen, das Nestor von den anderen erntete, schien es mir, als hätten sie sich untereinander darüber verständigt. Also waren la Gorda und ich die Außenstehenden.
»Auch Lydia erinnert sich an etwas«, fuhr Nestor fort. »Sie dachte zuerst, es sei wieder eine ihrer Dummheiten, aber als sie hörte, woran ich mich erinnerte, erzählte sie uns, daß dieser Nagual hier sie zu einem Heiler schleppte und sie bei diesem zurückließ, damit er ihre Augen gesund machte.«
La Gorda und ich drehten uns zu Lydia um. Sie senkte den Kopf, als ob sie verlegen wäre. Sie murmelte. Die Erinnerung schien ihr zu peinlich. Als Don Juan sie fand, so erzählte sie, seien ihre Augen entzündet gewesen und sie habe nicht sehen können. Irgend jemand
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