Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
niemals ziehen lassen.
    Kaum hatten wir die Ebene erreicht, da wurden sie lebhafter, besonders la Gorda. Sie sprudelte förmlich vor Energie. Sie gab mir sogar freiwillig Informationen, ohne daß ich sie danach fragte. Unter anderem sagte sie, der Nagual Juan Matus habe ihr erzählt und Dona Soledad habe es ihr bestätigt, daß wir alle noch eine andere Seite hätten. Als die anderen das hörten, fielen sie mit Fragen und Kommentaren ein; sie waren vor allem erstaunt über ihre seltsamen Erinnerungen an Ereignisse, die vernünftigerweise niemals stattgefunden haben konnten.
    Nachdem einige von ihnen mich erst vor wenigen Monaten kennengelernt hatten, ging es nun über ihren Verstand, wenn sie sich meiner als eines Bekannten aus einer fernen Vergangenheit erinnerten.
    Dann berichtete ich ihnen von meiner Begegnung mit Dona Soledad. Ich schilderte ihnen mein Gefühl, daß ich sie schon früher gekannt hatte, und auch meine Empfindung, daß ich ganz unzweifelhaft die - wie sie es nannte - parallelen Linien überschritten hatte. Die anderen reagierten auf meinen Bericht mit Verständnis. Anscheinend hatten sie das Wort schon einmal gehört, aber ich war mir nicht sicher, ob sie alle wußten, was die parallelen Linien bedeuten mochten. Für mich waren sie eine Metapher. Ich war mir aber nicht sicher, ob die anderen sie auch so auffassten.
    Als wir in Oaxaca eintrafen, äußerten alle den Wunsch, jene Stelle aufzusuchen, wo la Gorda, wie sie meinte, Don Juan und Don Genaro hatte verschwinden sehen. Ich fuhr direkt zu der Stelle. Sie sprangen aus dem Wagen und schienen sich orientieren zu wollen; sie schnupperten umher und suchten nach irgendwelchen Zeichen. La Gorda deutete in die Richtung, die die beiden, wie sie glaubte, eingeschlagen hatten.
    »Du hast einen furchtbaren Fehler gemacht, Gorda«, sagte Nestor laut. »Das ist nicht Osten, das ist Norden.«
    La Gorda protestierte und verteidigte ihre Auffassung. Die Frauen unterstützten sie, Pablito ebenfalls. Benigno wollte sich nicht festlegen. Er sah mich unverwandt an, als könne ich die Antwort liefern, was ich denn auch tat. Denn ich befragte einfach den Stadtplan von Oaxaca, den ich im Auto hatte. Die Richtung, die la Gorda angegeben hatte, war tatsächlich Norden.
    Nestor sagte, er habe von Anfang an das Gefühl gehabt, daß ihre Abreise aus der Heimatstadt weder verfrüht noch irgendwie erzwungen gewesen sei; er meinte, es sei gerade der richtige Zeitpunkt gewesen. Die anderen waren nicht dieser Meinung, und ihre Unsicherheit war durch la Gordas Irrtum bedingt. Denn ähnlich wie la Gorda waren sie davon ausgegangen, der Nagual habe in die Richtung ihrer Heimatstadt gezeigt, was allerdings bedeutet hätte, daß sie an Ort und Stelle bleiben mußten. Nach einigem Überlegen gestand ich, daß letzten Endes ich der Schuldige sei, weil ich, obwohl ich den Stadtplan besaß, damals versäumt hatte, ihn zu benutzen.
    Dann erwähnte ich, ich hätte ganz vergessen, ihnen zu erzählen, daß einer der beiden Männer, nämlich jener, den ich einen Moment lang für Don Genaro gehalten hatte, uns mit einem Kopfnicken bedeutet hatte, ihnen zu folgen. La Gordas Augen weiteten sich vor Überraschung oder gar Erschrecken. Sie hatte diese Geste gar nicht bemerkt, sagte sie. Das Nicken hatte nur mir gegolten.
    »Das ist es!“ rief Nestor. »Unsere Geschicke sind besiegelt.« Er wandte sich zu den anderen um. Alle redeten zugleich. Er fuchtelte heftig mit den Händen, um sie zu beruhigen.
    »Ich hoffe nur, ihr habt alles getan, was ihr tun musstet, wie wenn wir niemals zurückkehren würden«, sagte er. »Denn wir werden niemals zurückkehren.«
    » Sagst du uns die Wahrheit? « fragte Lydia mich mit einem wilden Ausdruck in den Augen, während die anderen mich erwartungsvoll anstarrten.
    Ich versicherte ihnen, daß ich keinen Grund hätte, so etwas zu erfinden. Die Tatsache, daß ich gesehen hatte, wie der Mann mir mit dem Kopf ein Zeichen gab, hatte für mich keinerlei Bedeutung. Außerdem war ich nicht einmal davon überzeugt, daß diese Männer Don Juan und Don Genaro waren.
    »Du bist sehr schlau«, sagte Lydia. »Möglicherweise erzählst du uns dies nur, damit wir dir demütig folgen.«
    »Na, warte mal«, sagte la Gorda. »Dieser Nagual hier soll meinetwegen so schlau sein, wie's dir gefällt, aber so etwas würde er niemals tun.«
    Ich suchte zu vermitteln und mußte die Stimmen der anderen überschreien. Ich sagte, daß es ohnehin gleichgültig sei, was ich gesehen hatte.

Weitere Kostenlose Bücher