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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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wußten, daß unsere Zeit in diesen Bergen abgelaufen war.
    Wir sind bereit zu gehen! Natürlich mußt du uns zuerst sagen wohin. Und auch, wie lange wir bleiben werden.«
    Er erklärte, er habe noch einige alte Geschäftskonten, die er auflösen müsse, daher brauche er noch etwas Zeit. La Gorda schaltete sich ein und verkündete mit großer Überzeugung und Autorität, daß wir noch am gleichen Abend so weit reisen würden, wie die Kraft es uns erlaubte, und daß sie folglich bis zum Ende dieses Tages Zeit hätten, sich um ihre Geschäfte zu kümmern. Nestor und Pablito blieben unter der Tür stehen. Sie sahen mich Bestätigung heischend an. Ich meinte, ich sollte zumindest aufrichtig gegen sie sein, aber la Gorda unterbrach mich, gerade als ich ihnen sagen wollte, daß ich hinsichtlich dessen, was wir tun sollten, im dunkeln tappte.
    »Wir werden uns bei Anbruch der Dunkelheit an der Bank des Nagual treffen«, sagte sie. »Von dort werden wir aufbrechen. Bis dahin sollten wir tun, was wir tun müssen oder wollen, und zugleich wissen, daß wir niemals in diesem Leben wieder zurückkehren werden.«
    Nachdem alle gegangen waren, blieben la Gorda und ich allein. Mit einer abrupten, ungeschickten Bewegung setzte sie sich auf meinen Schoß. Sie war so leicht, daß ich ihren mageren Körper schaukeln konnte, wenn ich meine Wadenmuskeln anspannte. Ihr Haar hatte einen seltsamen Duft. Ich alberte mit ihr herum und meinte, der Geruch sei unerträglich. Sie lachte und schüttelte sich, als mich auf einmal aus dem Nichts ein Gefühl überkam -eine Erinnerung? Auf einmal hatte ich eine andere Gorda auf dem Schoß, dick und zweimal so groß wie die Gorda, die ich kannte. Ihr Gesicht war rundlich, und ich neckte sie wegen des Dufts in ihrem Haar. Ich hatte irgendwie den Eindruck, als sei ich für sie verantwortlich.
    Unter dem Eindruck dieser flüchtigen Erinnerung stand ich auf. La Gorda fiel krachend zu Boden. Ich schilderte ihr, woran ich mich »erinnert« hatte. Ich erzählte ihr, ich hätte sie nur einmal als dicke Frau gesehen, und zudem so kurz, daß ich keine Vorstellung davon hatte, wie sie damals aussah, und doch hatte ich soeben in einer Vision ihr Gesicht gesehen, wie es aussah, als sie noch dick war.
    Darauf sagte sie nichts. Sie zog ihr Kleid aus und schlüpfte wieder in ihre alten Gewänder.
    »Ich bin noch nicht dafür bereit«, sagte sie und deutete auf ihr neues Kostüm. »Wir müssen noch eines tun, bevor wir frei sein werden. Auf Geheiß des Nagual Juan Matus müssen wir alle zusammen eine Weile an einem von ihm erwählten Platz der Kraft sitzen.«
    »Wo ist dieser Platz?«
    »Irgendwo in den Bergen, hier in der Gegend. Er ist wie eine Pforte. Der Nagual erzählte mir, daß es an diesem Platz eine natürliche Spalte gibt. Er sagte, gewisse Kraftplätze sind Öffnungen in dieser Welt; wenn du formlos bist, kannst du durch eine dieser Öffnungen in das Unbekannte, in eine andere Welt eintreten. Jene Welt und diese Welt, in der wir leben, bewegen sich auf parallelen Linien. Es ist gut möglich, daß wir alle irgendwann über diese Linien geführt worden sind, aber wir erinnern uns nicht daran. Eligio ist in jener anderen Welt. Manchmal können wir sie im Träumen erreichen. Josefina ist natürlich die beste Träumerin unter uns. Sie überschreitet diese Linien jeden Tag, aber ihre Verrücktheit macht sie gleichgültig, sogar blöde, und darum half Eligio mir, diese Linien zu überschreiten, weil er mich wohl für intelligenter hielt. Aber es zeigte sich, daß ich genauso blöde bin. Eligio will, daß wir uns an unsere linke Seite erinnern. Soledad sagte mir, die linke Seite sei die Parallele zu jener Seite, auf der wir jetzt leben. Wenn sie verlangt, daß wir uns daran erinnern, müssen wir also schon einmal dort gewesen sein, und zwar nicht im Träumen. Das ist der Grund, warum wir alle uns manchmal an seltsame Sachen erinnern.«
    Ihre Überlegungen waren logisch, jedenfalls wenn man die Prämissen anerkannte, von denen sie ausging. Ich wußte, wovon sie sprach; es waren jene gelegentlich und unwillkürlich auftauchenden Erinnerungen, die ganz nach Alltagsrealität rochen, für die wir dennoch keine zeitliche Abfolge, keine Leerstelle im Kontinuum unserer Lebensläufe finden konnten, in die wir sie hätten einordnen können.
    La Gorda lehnte sich auf dem Bett zurück. Ihre Augen zeigten einen besorgten Ausdruck.
    »Mich beunruhigt nur die Frage, wie wir diesen Platz der Kraft finden sollen«, sagte sie. »Ohne

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