Die Kunst des Pirschens
fest.«
Pablito bekam plötzlich eine Anwandlung von Ritterlichkeit und meinte, la Gorda sei die einzige von ihnen, die sich nicht festklammere. Alle anderen, so beteuerte er mir, seien nahezu hoffnungslose Egoisten.
»Der Nagual Juan Matus hat gesagt, wenn es für uns Zeit ist zu gehen, werden wir ein Zeichen erhalten«, sagte Nestor. »Irgend etwas, das uns wirklich lieb ist, wird daherkommen und uns mitnehmen. «
»Er sagte, es braucht gar nichts Großartiges zu sein«, warf Benigno ein. »Es kann alles mögliche sein, wenn es uns nur lieb ist. «
»Für mich wird das Zeichen in Gestalt der Zinnsoldaten kommen, die ich nie besaß«, sagte Nestor zu mir. »Es wird eine Reihe von Husaren zu Pferde kommen und mich mitnehmen. Was wird es für dich sein?«
Ich erinnerte mich, daß Don Juan mir einmal gesagt hatte, mein Tod könne sich hinter allem nur Vorstellbaren verbergen, sogar hinter einem Klecks auf meinem Schreibblock. Damals gab er mir die endgültige Metapher für meinen Tod. Ich hatte ihm erzählt, daß ich einmal, als ich auf dem Hollywood Boulevard in Los Angeles spazieren ging, eine Trompete gehört hatte, die das Thema eines dummen alten Schlagers spielte. Die Musik kam aus einem Schallplattenladen auf der anderen Straßenseite. Nie hatte ich einen schöneren Klang vernommen. Ich war davon hingerissen. Ich mußte mich auf den Rinnstein setzen. Der helle blecherne Klang der Trompete fuhr mir direkt ins Hirn. Ich spürte ihn unmittelbar über meiner rechten Schläfe. Er wiegte mich sanft, bis ich davon trunken war. Als er endete, wußte ich, daß es unmöglich sein würde, diese Erfahrung jemals zu wiederholen, und ich war gerade noch genügend klar bei Sinnen, um nicht in den Plattenladen zu rennen und die Platte samt einer Stereoanlage zu kaufen, um sie darauf abzuspielen.
Don Juan sagte damals, dies sei ein Zeichen gewesen, das mir von den Mächten, die das Schicksal des Menschen bestimmen, geschickt worden war. Wenn für mich die Zeit gekommen wäre, diese Welt - in welcher Form auch immer - zu verlassen, dann würde ich wieder den Klang dieser Trompete hören, den gleichen dummen Schlager, den gleichen hervorragenden Trompeter.
Der nächste Tag verlief sehr hektisch für die anderen. Anscheinend hatten sie dauernd irgendwelche Dinge zu tun. La Gorda sagte, sie alle hätten persönliche Angelegenheiten zu besorgen, und jeder müsse es selbst, ohne Hilfe, tun. Ich begrüßte es, einmal allein zu sein.
Auch ich mußte mir über gewisse Dinge klarwerden. Ich fuhr in die nahe gelegene Stadt, die mich so gründlich beunruhigt hatte. Ich ging direkt zu dem Haus, das la Gorda und mich so sehr fasziniert hatte; ich klopfte an die Tür. Eine Dame machte mir auf. Ich erfand eine Geschichte, ich hätte einmal als Kind in diesem Haus gewohnt und wolle es mir noch einmal ansehen. Sie war eine sehr entgegenkommende Frau. Sie erlaubte mir, das Haus zu besichtigen, und entschuldigte sich überschwänglich für die gar nicht vorhandene Unordnung.
Das Haus barg eine Fülle von heimlichen Erinnerungen. Sie waren da, ich konnte sie spüren, aber ich konnte mich an nichts erinnern.
Am andern Tag ging la Gorda bei Anbruch der Dämmerung fort; ich hatte erwartet, sie würde den ganzen Tag ausbleiben, aber sie kehrte schon zu Mittag zurück. Sie schien sehr beunruhigt.
»Soledad ist wiedergekommen und will dich sehen«, sagte sie rundheraus.
Ohne ein weiteres Wort der Erklärung führte sie mich zu Dona Soledads Haus. Sie stand vor der Tür. Sie wirkte jünger und kräftiger als das letzte Mal, als ich sie gesehen hatte. Sie hatte nur noch entfernte Ähnlichkeit mit der Frau, die ich vor Jahren gekannt hatte.
La Gorda schien den Tränen nahe. Die Spannung, unter der wir standen, machte mir ihre Stimmung ganz verständlich. Sie ging, ohne ein Wort zu sagen.
Dona Soledad sagte, sie hätte nur wenig Zeit, um mit mir zu sprechen, und sie wolle jede Minute nutzen. Sie verhielt sich mir gegenüber seltsam ehrerbietig. Es lag eine besondere Höflichkeit in jedem Wort, das sie sagte.
Ich machte eine Gebärde, um sie zu unterbrechen, denn ich wollte ihr eine Frage stellen. Ich wollte erfahren, wo sie gewesen sei. Sie aber ließ mich ganz taktvoll abblitzen. Sie meinte, sie habe ihre Worte sorgfältig gewählt, und die knappe Zeit erlaube ihr nur, das Wesentliche zu sagen.
Sie spähte mir einen, wie mir schien, unerträglich langen Moment in die Augen. Das ärgerte mich. In der gleichen Zeit hätte sie mit mir reden und
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