Die Kunst des Pirschens
versenken. Kaum hatte ich meinen Vorschlag ausgesprochen, da wurde mir bewußt, daß eine Schwermut, die mich seit Tagen bedrückt hatte, sich gründlich verändern konnte, indem ich die Veränderung wollte. Jetzt verstand ich klar, was la Gordas und meine Schwierigkeit gewesen war; wir hatten uns unabsichtlich auf Furcht und Mißtrauen konzentriert, als ob dies die einzigen, uns offenstehenden Alternativen wären, während wir doch die ganze Zeit, ohne es bewußt zu wissen, auch die Möglichkeit hatten, unsere Aufmerksamkeit absichtlich auf das Gegenteil zu konzentrieren, auf das Geheimnis, das Wunder dessen, was mit uns geschah.
Ich erzählte la Gorda von meiner Erkenntnis. Sie pflichtete mir sofort bei. Augenblicklich wurde sie lebhaft, und ihre bleiche Trübsal verflog binnen Sekunden.
»Welche Art des Träumens, schlägst du vor, sollten wir tun?« fragte sie.
»Wie viele Arten gibt es denn?« fragte ich.
»Wir könnten zusammen träumen«, erwiderte sie. »Mein Körper sagt mir, daß wir dies bereits getan haben. Wir haben als Team angefangen zu träumen. Es wird uns todsicher gelingen, wie es uns auch beim zusammen sehen gelang.«
»Aber wir wissen nicht, wie man vorgehen muß, um zusammen zu träumen«, sagte ich.
»Wir wußten auch nicht, wie man zusammen sieht, und doch sahen wir«, sagte sie. »Ich bin mir sicher, daß wir es könnten, wenn wir es nur versuchen wollten, denn bei allem, was ein Krieger tut, braucht es keine vorbereitenden Schritte. Es braucht nur persönliche Kraft. Und die haben wir jetzt.«
»Wir beide sollten mit unserem Träumen an zwei verschiedenen Orten beginnen, so weit voneinander entfernt, wie wir können. Wer zuerst ins Träumen hineingeht, wartet auf den anderen.
Sobald wir einander finden, verschränken wir unsere Arme und gehen noch tiefer hinein.«
Ich sagte ihr, daß ich keine Ahnung hätte, wie ich auf sie warten sollte, falls ich vor ihr ins Träumen hineingehen sollte. Sie selbst konnte mir auch nicht erklären, was es mit dem Warten auf sich hatte. Auf den anderen Träumer zu warten, so sagte sie, sei das gleiche, was Josefina als »ihn packen« bezeichnet hatte. La Gorda war zweimal von Josefina gepackt worden.
»Josefina hat es deswegen als >packen< bezeichnet, weil einer von uns den anderen am Arm greifen mußte«, erklärte sie.
Dann zeigte sie mir eine Methode, ihren linken Unterarm mit meinem rechten Unterarm zu verschränken, wobei jeder von uns eine Stelle unter dem Ellbogen des anderen fest umklammerte.
»Wie können wir das beim Träumen tun?« fragte ich.
Für mich selbst war das Träumen einer der intimsten Zustände, die ich mir denken konnte.
»Ich weiß nicht wie, aber ich werde dich packen«, sagte la Gorda. »Ich glaube mein Körper weiß, wie. Je mehr wir aber darüber sprechen, desto schwieriger erscheint es uns.«
Wir begannen unser Träumen von zwei getrennten Orten her. Wir konnten uns nur über den Zeitpunkt verständigen, an dem wir uns hinlegten, denn das Eintreten ins Träumen ließ sich unmöglich im voraus arrangieren. Die vorhersehbare Möglichkeit, daß ich vielleicht auf la Gorda warten müßte, machte mir große Angst, und ich konnte nicht so leicht in diesen Zustand eingehen, wie ich es sonst gewohnt war. Nach etwa zehn bis fünfzehn Minuten der Rastlosigkeit gelang es mir endlich, in einen Zustand einzutreten, den ich als ruhige Wachsamkeit bezeichnete.
Vor Jahren, als ich eine gewisse Erfahrung mit dem Träumen erworben hatte, fragte ich Don Juan einmal, ob er irgendwelche Stufen des Träumens kenne, die uns allen gemeinsam wären.
Er sagte, daß letzten Endes jeder Träumer anders sei. Aber im Gespräch mit la Gorda entdeckte ich nun solche Ähnlichkeiten in unseren Erfahrungen mit dem Träumen, daß ich ein mögliches Klassifikationsschema der verschiedenen Stufen aufzustellen wagte.
Die ruhige Wachsamkeit ist das Vorstadium, ein Zustand, in dem die Sinne einschlafen und man doch bewußt ist. In meinem Fall hatte ich diesen Zustand stets als ein Fluten rötlichen Lichts empfunden - ein Licht genau wie jenes, das man sieht, wenn man mit fest geschlossenen Augenlidern in die Sonne blickt.
Der zweite Zustand des Träumens ist eine Phase, die ich als dynamische Wachsamkeit bezeichnete. In diesem Zustand verflüchtigt sich das rötliche Licht, ähnlich wie Nebel sich verflüchtigt, und man erblickt eine Szene, eine Art statisches Panorama. Man sieht ein dreidimensionales Bild, etwas Erstarrtes, eine Landschaft, eine
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