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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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in meinem Leben gerade die vorherrschende war. Wenn ich in die Traumszene eintauchte, fühlte ich mich sicher und beschützt. Wenn ich sie mit meiner gegenwärtigen Stimmung beobachtete, fühlte ich mich verloren, unsicher, verängstigt. Meine geläufige Stimmung behagte mir nicht, daher tauchte ich in die Traumszene ein.
    Eine fette Gorda fragte Don Juan - mit einer Stimme, die das Gelächter der anderen übertönte -, ob ich ihr Ehemann sein wolle. Einen Augenblick herrschte Schweigen. Don Juan schien zu überlegen, was er sagen wollte. Er tätschelte ihr den Kopf und sagte, daß er wohl in meinem Namen sprechen dürfe und daß ich mit Begeisterung ihr Ehemann sein würde. Die Leute lachten unbändig. Ich lachte mit ihnen. Mein Körper bäumte sich in schierem Entzücken auf, und doch hatte ich nicht das Gefühl, über la Gorda zu lachen. Ich sah sie nicht als Clown oder als Dummerchen. Sie war ein Kind. Don Juan wandte sich zu mir um und sagte, daß ich la Gorda in Ehren halten müsse, ganz gleich was sie mir antäte, und daß ich durch meine Auseinandersetzung mit ihr meinen Körper trainieren müsse, damit ich mich angesichts der schwierigsten Prüfungen unbefangen fühlen würde. Dann sprach Don Juan die ganze Gruppe an und erklärte, daß es viel leichter sei, sich unter maximalen Stressbedingungen richtig zu verhalten als unter normalen Umständen, etwa im Umgang mit la Gorda, makellos zu sein. Und Don Juan fügte hinzu, dürfe auf keinen Fall böse auf la Gorda werden, weil tatsächlich meine Wohltäterin sei; durch sie würde es mir gelingen, meine Selbstsucht zu zügeln.
    Ich hatte mich so tief in die Traumszene versenkt, daß ich ganz vergessen hatte, daß ich ein Träumer war. Doch ein plötzlicher Druck auf meinen Arm erinnerte mich daran, daß ich träumte. Ich spürte la Gordas Gegenwart neben mir, ohne sie aber zu sehen. Sie war nur als eine Berührung da, als taktile Präsenz an meinem Unterarm. Auf diese konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit, sie fühlte sich an wie ein fester Griff, der mich hielt, und dann materialisierte sich la Gorda als ganze Person, so als entstünde sie aus übereinandergeblendeten Diapositiven. Es war wie Trickfotografie in einem Film. Die Traumszene löste sich auf, und statt dessen standen la Gorda und ich mit verschränkten Unterarmen da und sahen uns an.
    Wieder konzentrierten wir gleichzeitig unsere Aufmerksamkeit auf die Traumszene, die wir beobachtet hatten. In diesem Augenblick wußte ich ohne den Schatten eines Zweifels, daß wir beide dasselbe schauten. In dieser Szene sagte Don Juan etwas zu la Gorda. Aber ich konnte ihn nicht hören. Meine Aufmerksamkeit wurde zwischen dem dritten Zustand des Träumens, der passiven Beobachtung, und dem zweiten, der dynamischen Wachsamkeit, hin und her gerissen.
    Einen Augenblick war ich mit Don Juan, einer fetten Gorda und sechs anderen Leuten zusammen; und im nächsten Moment saß ich neben der gegenwärtigen Gorda und beobachte eine erstarrte Szene. Ein heftiger Ruck in meinem Körper versetzte mich noch auf eine andere Ebene der Aufmerksamkeit. Ich empfand so etwas wie das Knacken eines trockenen Holzstücks.
    Es war eine kleine Explosion, eher wie ein ungewöhnlich lautes Knacken der Fingerknöchel.
    Ich fand mich in den ersten Zustand des Träumens, die ruhige Wachsamkeit versetzt. Ich schlief, und doch war ich durchaus bewußt. Ich wollte so lange wie möglich in diesem friedlichen Zustand bleiben, aber ein weiterer Ruck ließ mich augenblicklich erwachen. Auf einmal hatte ich erkannt, daß la Gorda und ich zusammen geträumt hatten. Ich brannte förmlich darauf, mit ihr zu sprechen. Ihr erging es ebenso. Wir beeilten uns, uns auszusprechen. Als wir uns ein wenig beruhigt hatten, bat ich sie, mir alles zu schildern, was ihr bei unserem Zusammen-Träumen widerfahren war. »Ich wartete lange auf dich«, sagte sie. »Ein Teil von mir glaubte, ich hätte dich verfehlt, aber ein anderer Teil dachte, du bist vielleicht nervös und hast Schwierigkeiten, also wartete ich.« »Wo hast du gewartet, Gorda?« fragte ich.
    »Ich weiß nicht«, antwortete sie. Ach wußte, daß ich aus dem rötlichen Licht heraus war, aber ich konnte nichts sehen. Denk dir nur, meine Augen sahen nichts, ich tastete mich voran.
    Vielleicht war ich noch immer im rötlichen Licht; aber es war nicht rot. Der Ort, wo ich mich befand, war in eine sehr helle Pfirsichfarbe getaucht. Dann öffnete ich meine Augen, und da warst du. Du schienst im Begriff

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