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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Gewicht lag. Dabei schlief ich jedesmal ein. Aber das machte ihm nichts aus. Es ist wirklich egal, was man tut, solange nur die Aufmerksamkeit auf den Uterus gerichtet ist. Schließlich lernte ich mich auf diese Stelle zu konzentrieren, ohne daß irgend etwas darauf lag. Eines Tages ging ich ganz von selbst ins Träumen ein. Ich spürte meinen Bauch, genau die Stelle, wohin der Nagual so oft das Gewicht gelegt hatte, als ich ganz plötzlich einschlief - wie gewohnt, nur daß irgend etwas mich direkt in meinen Uterus zog. Ich sah den rötlichen Schimmer, und dann hatte ich den wunderbarsten Traum. Aber sobald ich ihn dem Nagual zu erzählen versuchte, wußte ich, daß es kein Traum gewesen war. Es war ganz unmöglich, ihm zu sagen, was ich geträumt hatte. Ich fühlte mich nur sehr glücklich und stark. Er sagte, daß ich geträumt hatte.
    Von da an legte er mir nie wieder ein Gewicht auf. Er ließ mich das Träumen tun, ohne sich einzumischen. Von Zeit zu Zeit bat er mich, ihm davon zu erzählen, und dann gab er mir Ratschläge. Das ist auch die Art, wie die Unterweisung im Träumen erfolgen sollte.«
    La Gorda erzählte, Don Juan habe ihr gesagt, daß alles Erdenkliche als Nicht-Tun geeignet sei, um das Träumen zu fördern, vorausgesetzt, daß es die Aufmerksamkeit zwingt, fest auf etwas fixiert zu bleiben. Zum Beispiel ließ er sie und die anderen Lehrlinge Blätter und Steine anstarren und ermutigte Pablito, sich ein eigenes Gerät zum Nicht-Tun zu konstruieren. Pablito fing an, das Nicht- Tun zu lernen, indem er rückwärts marschierte. Er ging und warf dabei kurze Blicke zur Seite, um seinen Weg zu finden und Hindernissen auszuweichen. Ich brachte ihn auf die Idee, einen Rückspiegel zu benützen, und er baute dies zu einem hölzernen Helm aus, mit einer Vorrichtung, an der zwei kleine Spiegel befestigt waren, etwa sechs Zoll von seinem Gesicht entfernt und zwei Zoll unter seiner Augenhöhe. Die beiden Spiegel beeinträchtigten nicht seine Sicht nach vorne, und dank dem seitlichen Winkel, in dem sie angebracht waren, erfassten sie das ganze Blickfeld hinter ihm. Pablito prahlte gern, daß er eine Panorama-Weltsicht von 360 Grad habe. Mit Hilfe dieses Apparats konnte Pablito rückwärts gehen, so weit und solange er wollte.
    Ein weiterer wichtiger Punkt war die Haltung, die man einnehmen mußte, um das Träumen zu tun.
    »Ich weiß nicht«, sagte la Gorda, »warum der Nagual mir nicht schon am Anfang sagte, daß es für eine Frau die beste Haltung ist, wenn sie anfangs mit gekreuzten Beinen sitzt und ihren Körper fallen läßt, wie er mag, sobald ihre Aufmerksamkeit sich auf das Träumen gerichtet hat.
    Dies sagte der Nagual mir vielleicht ein Jahr, nachdem ich angefangen hatte. Heute brauche ich nur einen Moment in dieser Haltung zu sitzen, ich spüre meinen Uterus, und schon träume ich.«
    Ich hatte es anfangs, genau wie la Gorda, in Rückenlage gemacht, bis Don Juan mir eines Tages sagte, daß ich, um bessere Resultate zu erzielen, aufrecht auf einer weichen dünnen Matte sitzen sollte, mit aneinandergelegten Fußsohlen und auf die Matte gedrückten Schenkeln. Nachdem ich elastische Hüftgelenke hätte, so sagte er, sollte ich sie auch in vollem Umfang gebrauchen, mit dem Ziel, meine Schenkel ganz flach an der Matte aufliegen zu lassen. Wenn ich in dieser Sitzhaltung in das Träumen einträte, so fügte er hinzu, würde mein Körper nicht zur Seite gleiten oder fallen, sondern mein Rumpf würde vornüber knicken und meine Stirn würde auf meinen Füßen ruhen.
    Ein weiterer, sehr bedeutsamer Punkt war der Zeitpunkt, zu dem man das Träumen tat. Die bei weitem beste Zeit, so hatte Don Juan uns gesagt, seien die späten Abend- oder frühen Morgenstunden. Der Grund, warum er diesen Stunden den Vorzug gab, war etwas, was er als praktische Anwendung des Wissens der Zauberer bezeichnete. Weil man nämlich das Träumen in einer sozialen Umwelt tun müsse, so sagte er, müsse man die bestmöglichen Bedingungen der Einsamkeit und Ungestörtheit anstreben. Die Störung, die er dabei meinte, hatte etwas mit der Aufmerksamkeit der anderen Menschen zu tun, und nicht mit ihrer physischen Gegenwart. Don Juan hielt es für sinnlos, sich von der Welt zurückzuziehen und zu verstecken, denn selbst wenn man sich allein, an einem isolierten und verlassenen Ort befände, gebe es doch eine Störung von seiten unserer Mitmenschen, weil die Fixierung ihrer ersten Aufmerksamkeit sich nicht ausschließen lasse. Nur zeitweilig und an

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