Die Kunst des Pirschens
Studierzimmer. Aber nichts geschah. Wir erschöpften uns lediglich bei dem Versuch, ins Träumen einzutreten. Danach versuchten wir wochenlang, den Erfolg unseres ersten Versuchs zu wiederholen, aber vergeblich. Mit jedem Scheitern wurden wir hoffnungsloser und begieriger.
Angesichts der Sackgasse, in die wir geraten waren, beschloß ich, wir sollten unser Zusammen-Träumen für den Augenblick vertagen und uns einen umfassenden Überblick über den Vorgang des Träumens verschaffen und seine Begriffe und Prozesse analysieren. La Gorda war anfangs nicht einverstanden. Die Vorstellung, einmal zu untersuchen, was wir über das Träumen wußten, war für sie nur eine andere Art, sich der Hoffnungslosigkeit und Ungeduld zu überlassen. Lieber wollte sie es immer wieder versuchen, selbst wenn wir keine Fortschritte machten. Ich ließ nicht locker, und schließlich akzeptierte sie meine Auffassung, wenn auch nur aus dem schieren Gefühl, auf verlorenem Posten zu stehen.
So setzten wir uns eines Abends hin und begannen so beiläufig wie nur möglich ein Gespräch über das, was wir über das Träumen wußten. Es wurde uns klar, daß es da einige Kernpunkte gab, auf die Don Juan besonderen Nachdruck gelegt hatte.
Der erste war der Akt des Träumens. Unserer Meinung nach setzte es als ein einzigartiger Zustand der Wachsamkeit ein, den man erreichte, indem man lernte, jenen Rest an Bewußtsein, den man im Schlaf immer noch hat, auf die Elemente oder die Gegebenheiten des Traumes zu konzentrieren.
Der Rest an Bewußtsein, den Don Juan die zweite Aufmerksamkeit nannte, wurde durch Übungen des Nicht-Tuns aktiviert oder gezügelt. Wir glaubten, das wesentliche Nicht- Tun des Träumens sei ein Zustand der geistigen Stille, den Don Juan das »Anhalten des inneren Dialogs« oder das »Nicht-Tun des Sprechens« genannt hatte. Um mich zu lehren, dies zu beherrschen, ließ er mich manchmal meilenweit marschieren, die Augen starr und ohne genau hinzusehen auf eine Ebene knapp über dem Horizont fixiert, so daß mir eine periphere Sicht möglich war. Seine Methode war in zweierlei Hinsicht wirksam. Sie erlaubte mir, nachdem ich es jahrelang versucht hatte, meinen inneren Dialog anzuhalten, und sie trainierte meine Aufmerksamkeit. Indem Don Juan mich zwang, mich auf meine periphere Sicht zu konzentrieren, stärkte er meine Fähigkeit, mich über lange Zeiträume hin auf eine einzige Aktivität zu konzentrieren.
Später, nachdem es mir gelungen war, meine Aufmerksamkeit zu kontrollieren, und ich ohne Ablenkung stundenlang an jeder beliebigen Aufgabe arbeiten konnte - etwas, das mir vorher nie möglich gewesen wäre -, sagte er mir, das beste Mittel, um das Träumen auszulösen, bestünde darin, sich auf die Region genau an der Spitze des Brustbeins, auf die Magengrube zu konzentrieren. Er sagte, die Aufmerksamkeit, die ein Mann zum Träumen brauche, stamme aus dieser Region, während die Energie, die ein Mann brauche, um sich im Träumen fortzubewegen und etwas zu suchen aus der Region ein paar Zoll unter dem Nabel stamme. Diese Energie nannte er den Willen oder die Kraft, auszuwählen, zusammenzufügen. Bei einer Frau stamme sowohl die Aufmerksamkeit wie die Energie zum Träumen aus dem Uterus.
»Das Träumen einer Frau muß aus ihrem Uterus kommen, weil das ihre Mitte ist«, sagte la Gorda. »Wenn ich zu träumen anfangen oder aufhören will, brauche ich nur meine Aufmerksamkeit auf meinen Uterus zu richten. Ich habe gelernt, sein Inneres zu fühlen. Ich sehe einen Moment lang einen rötlichen Schimmer, und dann bin ich weg.«
»Wie lange brauchst du, bis du diesen rötlichen Schimmer siehst?« fragte ich.
»Ein paar Sekunden. Im gleichen Moment, wenn meine Aufmerksamkeit auf meinen Uterus gerichtet ist, bin ich auch schon im Träumen drin«, erklärte sie weiter. »Ich brauche mich niemals anzustrengen, niemals. Frauen sind nun einmal so. Für eine Frau ist es am schwersten zu lernen, wie man anfängt; ich brauchte ein paar Jahre, um meinen inneren Dialog anzuhalten, indem ich meine Aufmerksamkeit auf meinen Uterus konzentrierte. Vielleicht ist das der Grund, warum eine Frau immer jemanden braucht, der sie anspornt.
Der Nagual Juan Matus legte mir immer kalte, nasse Flußkiesel auf den Bauch, damit ich diese Region spüren lernte. Oder er legte mir ein Gewicht auf. Ich hatte ein Stück Blei, das er mir für diesen Zweck besorgte. Er ließ mich die Augen schließen und meine Aufmerksamkeit auf die Stelle konzentrieren, wo das
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