Die Kunst des Pirschens
buchstäblich wie ein Drachen in der Luft auf- und abhopste. Der Vorgang schien mir so unbegreiflich, daß ich gar nicht erst versuchte, ihn irgendwie logisch zu verstehen.
Wie immer, wenn Dinge dieser Art mir begegneten, schob ich ihn in die verschwommene Kategorie der »Wahrnehmungen unter starken Stressbedingungen«. Ich war der Meinung, daß unsere Wahrnehmungen bei starkem Streß durch die Sinne stark verzerrt werden. Meine Erklärung erklärte nichts, schien aber meine Vernunft zu beschwichtigen.
Ich sagte la Gorda, daß es bei ihrem Überwechseln in den Traumkörper wohl um mehr gehen müsse als darum, lediglich den Akt des Fliegens zu wiederholen.
Sie dachte eine Weile nach, bevor sie antwortete.
»Ich glaube, der Nagual muß auch dir gesagt haben«, meinte sie, »daß das einzige, worauf es bei diesem Übergang wirklich ankommt, das Verankern der zweiten Aufmerksamkeit ist. Der Nagual sagte, die Aufmerksamkeit ist das, was die Welt schafft-, er hatte natürlich völlig recht.
Und er hatte allen Grund, das zu sagen. Er war ein Meister der Aufmerksamkeit. Ich glaube, er ließ mich selbst herausfinden, daß ich, um in meinen Traumkörper überzuwechseln, lediglich meine Aufmerksamkeit auf das Fliegen konzentrieren mußte. Worauf es ankam, war, die Aufmerksamkeit im Träumen zu speichern, und alles, was ich beim Fliegen tat, zu beobachten. Dies war das einzige Mittel, meine zweite Aufmerksamkeit einzuüben. Sobald sie zuverlässig war, brauchte ich sie nur leicht auf das Gefühl und die einzelnen Elemente des Fliegens zu konzentrieren, und schon führte dies zu erneutem Träumen vom Fliegen - bis es für mich eine Routine war, zu träumen, daß ich durch die Luft schwebte.
Was also das Fliegen betraf, war meine zweite Aufmerksamkeit geschärft. Als der Nagual mir die Aufgabe stellte, in meinen Traumkörper überzuwechseln, meinte er damit, ich solle meine zweite Aufmerksamkeit einschalten, während ich wach war. So jedenfalls faßte ich es auf. Die erste Aufmerksamkeit, nämlich die Aufmerksamkeit, die die Welt schafft, kann niemals gänzlich überwunden werden; sie kann nur einen Moment abgeschaltet und durch die zweite Aufmerksamkeit ersetzt werden, vorausgesetzt, daß der Körper genug davon gespeichert hat.
Das Träumen ist natürlich ein Mittel, die zweite Aufmerksamkeit zu speichern. Darum meine ich, um im Wachzustand in den Traumkörper überzuwechseln, mußt du das Träumen üben, bis es dir aus den Ohren wächst. «
»Kannst du jederzeit, wann du willst, deinen Traumkörper erreichen?« fragte ich.
»Nein, so leicht ist es nicht«, antwortete sie. »Ich habe gelernt, die Bewegungen und Empfindungen des Fliegens im Wachen zu wiederholen, und doch kann ich nicht jederzeit fliegen, wann ich will. Da ist immer eine Schranke vor meinem Traumkörper. Manchmal fühle ich, daß die Schranke offen ist; bei solchen Gelegenheiten ist mein Körper frei und ich kann fliegen, als ob ich mich im Träumen befände.«
In meinem Fall, so erzählte ich la Gorda, hatte Don Juan mir drei Aufgaben gestellt, um meine zweite Aufmerksamkeit zu trainieren. Die erste war, im Träumen meine Hände zu finden. Als nächstes empfahl er mir, ich solle irgendeinen Ort auswählen, meine Aufmerksamkeit darauf konzentrieren und dann das Träumen wie im Tagtraum tun, um herauszufinden, ob ich mich tatsächlich dorthin begeben könne. Er schlug vor, ich solle irgendeine Person, am besten eine Frau, an diesem Ort aufstellen, um zwei Dinge zu gewährleisten: erstens, um die kaum wahrnehmbaren Veränderungen zu kontrollieren, die anzeigen mochten, daß ich mich im Zustand des Träumens dort befand, und zweitens, um unmerkliche Details festzustellen, die genau das wären, worauf meine zweite Aufmerksamkeit sich stürzen würde.
Das schwierigste Problem, das der Träumer in dieser Hinsicht hat, ist die unbeirrte Fixierung der zweiten Aufmerksamkeit auf Einzelheiten, die von der Aufmerksamkeit des täglichen Lebens durchaus unbemerkt bleiben, was einer gültigen Überprüfung schier unüberwindliche Hindernisse in den Weg legt. Denn was man beim Träumen sucht, ist nicht dasselbe wie das, worauf man im täglichen Leben zu achten pflegt.
Don Juan sagte, daß man nur in der Phase des Lernens bestrebt sei, die zweite Aufmerksamkeit festzulegen; danach müsse man gegen den beinahe unwiderstehlichen Sog der zweiten Aufmerksamkeit ankämpfen und alle Dinge nur mit flüchtigen Blicken streifen. Im Träumen müsse man sich damit begnügen,
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