Die Kunst des Pirschens
diesen einen Tag geschäftlich in der Stadt. Dann wies er auf die zwei Frauen und sagte, es wären seine Schwestern. Die Frauen standen auf und blickten zu uns her. Sie waren sehr schlank und von dunklerem Teint als ihr Bruder. Auch waren sie viel jünger. Die eine hätte seine Tochter sein können. Ich bemerkte, daß ihre Haut anders war als die seine, sie war ausgetrocknet. Die beiden Frauen sahen sehr gut aus. Genau wie der Mann hatten sie sehr feine Gesichtszüge. Ihre Augen waren klar und friedlich. Sie waren etwa 1,55 Meter groß. Sie trugen Kleider von bester Maßarbeit, aber mit ihren Kopftüchern, ihren flachen Schuhen und dunklen Baumwollsocken sahen sie eher aus wie wohlhabende Bäuerinnen. Die ältere schien um die fünfzig Jahre zu sein, die jüngere um die vierzig.
Der Mann stellte mich ihnen vor. Die ältere Frau hieß Carmela, die jüngere Hermelinda. Ich stand auf und schüttelte ihnen kurz die Hand. Ich fragte sie, ob sie Kinder hätten. Diese Frage war für mich immer die sicherste Eröffnung eines Gesprächs. Die Frauen lachten und fuhren sich gleichzeitig mit den Händen über den Bauch, um mir zu zeigen, wie schlank sie waren. Der Mann erklärte mir ruhig, daß sie alte Jungfern seien und er selbst ein alter Junggeselle. In halb scherzendem Ton vertraute er mir an, daß seine Schwestern unglücklicherweise zu männlich seien, daß ihnen die Weiblichkeit fehle, die eine Frau begehrenswert macht, und daß sie daher keine Ehemänner gefunden hatten.
Ich sagte, um so besser für sie, wenn man an die untergeordnete Rolle der Frau in unserer Gesellschaft dächte. Die Frauen widersprachen mir; sie sagten, sie hätten gar nichts dagegen einzuwenden gehabt, Dienerinnen zu sein, wenn sie nur Männer gefunden hätten, die ihrer Herr sein wollten. Die jüngere sagte, das eigentliche Problem sei, daß ihr Vater sie nicht gelehrt habe, sich wie Frauen zu benehmen. Der Mann bemerkte mit einem Seufzer, ihr Vater sei so dominierend, daß er auch ihn daran gehindert habe zu heiraten, indem er es absichtlich unterließ, ihn das Verhalten eines Macho zu lehren. Alle drei seufzten und blickten düster drein.
Ich wollte lachen.
Nach langem Schweigen setzten wir uns wieder, und der Mann sagte, daß ich, wenn ich noch ein wenig auf dieser Bank sitzenbliebe, Gelegenheit haben würde, ihren Vater kennenzulernen, der für sein fortgeschrittenes Alter noch immer sehr guter Dinge sei. In schüchternem Ton fügte er hinzu, ihr Vater werde sie zum Frühstück ausführen, denn sie selbst hätten nie Geld bei sich.
Ihr Vater habe die Hand auf dem Geldbeutel.
Ich war entgeistert. Diese alten Leutchen, die so stark wirkten, waren in Wirklichkeit schwache, abhängige Kinder. Ich sagte ihnen Aufwiedersehn und stand auf, um zu gehen. Der Mann und seine Schwestern beharrten, ich solle bleiben. Sie versicherten mir, daß ihr Vater erfreut wäre, wenn ich mit ihnen zum Frühstück käme. Ich wollte ihren Vater nicht kennenlernen, und doch war ich neugierig. Ich erzählte ihnen, daß auch ich auf jemanden wartete. Plötzlich fingen die Frauen an zu kichern und brachen dann in ein brüllendes Gelächter aus. Auch der Mann lachte hemmungslos heraus. Ich kam mir blöde vor. Ich wollte fort. In diesem Augenblick tauchte Don Juan auf, und ich durchschaute ihr Manöver. Ich fand es nicht sehr spaßig.
Alle standen wir auf. Sie lachten noch immer, während Don Juan mir sagte, daß diese Frauen der Osten seien, daß Carmela die Pirscherin und Hermelinda die Träumerin sei, daß Vicente der Krieger-Gelehrte und sein ältester Gefährte sei.
Als wir die Plaza verließen, schloß noch ein Mann sich uns an. Ein großer, dunkelhäutiger Indianer, vielleicht etwas über vierzig Jahre. Er trug Lewis-Jeans und einen Cowboyhut. Er wirkte furchtbar stark und verdrossen.
Don Juan stellte mich ihm vor. Er sagte, er heiße Juan Tuma und sei Vicentes Kurier und Forschungsassistent.
Wir gingen zu einem Lokal, ein paar Häuserblocks entfernt. Die Frauen nahmen mich in die Mitte. Carmela sagte, daß sie hoffe, ich sei über ihren Scherz nicht beleidigt, und daß sie die Wahl gehabt hätten, sich einfach mir vorzustellen oder mich ein wenig an der Nase
herumzuführen. Was sie dann dazu brachte, mich an der Nase herumzuführen, sei meine ganz überhebliche Haltung gewesen, als ich ihnen den Rücken kehrte und mich auf eine andere Bank setzen wollte. Hermelinda fügte hinzu, daß man ganz demütig sein müsse und nichts zu
verteidigen haben dürfe,
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