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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Schwankungen in sich selbst oder in ihrer Umgebung zu entdecken. Diese Geschöpfe seien so sensibel, daß es ein Fluch für sie sei, eine so ausgeprägte Wahrnehmung für Bewegungen zu haben. Es schmerze sie so sehr, daß es ihr sehnlichster Wunsch sei, endlich Ruhe zu finden.
    Emilito untermischte seine Geschichten von der Ewigkeit mit den scheußlichsten schmutzigen Witzen. Wegen seines unglaublichen Erzählertalents faßte ich jede seiner Geschichten als eine Metapher auf, als ein Gleichnis, durch das er uns zu belehren suchte.
    Don Juan sagte, daß Emilito lediglich von Dingen erzählte, die er auf seinen Reisen durch die Ewigkeit erlebt habe. Es sei die Aufgabe eines Kuriers, wie der Kundschafter eines militärischen Stoßtrupps vor dem Nagual her zu reisen. Emilito sei bis an die Grenzen der zweiten Aufmerksamkeit gelangt, und was er unterwegs gesehen habe, teile er nun den anderen mit.
    Meine zweite Begegnung mit Don Juans Kriegern war ebenso sorgsam arrangiert wie die erste.
    Eines Tages ließ Don Juan mich auf die andere Bewusstheitsebene überwechseln und sagte mir, daß ich eine zweite Verabredung hätte. Er hieß mich nach Zacatecas im Norden Mexikos fahren. Wir trafen am frühen Morgen dort ein. Don Juan sagte, daß wir nur Zwischenrast machen würden, um uns bis zum nächsten Tag zu entspannen, bevor ich bei meiner zweiten förmlichen Zusammenkunft mit den östlichen Frauen und dem Gelehrten-Krieger seines Trupps Bekanntschaft machen sollte. Und dann erklärte er mir eine knifflige Entscheidung, die er getroffen hatte. Er sagte, daß wir dem Süden und dem Kurier am frühen Nachmittag begegnet seien, weil er - durch eine individuelle Auslegung der Regel herausgefunden hatte, daß diese Stunde die Nacht darstellte. Der Süden sei tatsächlich die Nacht, eine warme, freundliche, anheimelnde Nacht, und eigentlich hätten wir die südlichen Frauen nach Mitternacht besuchen sollen, aber dies wäre für mich unheilvoll gewesen, weil meine allgemeine Richtung auf das Licht, auf den Optimismus ziele - ein Optimismus, der sich harmonisch in das Geheimnis der Dunkelheit einfüge. Und genau dies, so sagte er, hätten wir an jenem Tag getan: wir hatten fröhlich beieinander gesessen und geredet, bis es pechschwarze Nacht war. Ich hatte mich noch gewundert, warum sie nicht ihre Laterne anzündeten.
    Der Osten hingegen, so sagte Don Juan, sei der Morgen, das Licht, und wir würden den östlichen Frauen am Morgen des folgenden Tages begegnen.
    Vor dem Frühstück gingen wir zur Plaza und setzten uns auf eine Bank. Don Juan sagte mir, ich solle dort sitzen bleiben und auf ihn warten, während er einige Besorgungen machte. Er ging fort, und kurz nachdem er gegangen war, kam eine Frau und setzte sich ans andere Ende der Bank. Ich beachtete sie nicht weiter und begann eine Zeitung zu lesen. Einen Augenblick später gesellte sich eine andere Frau zu ihr. Ich wollte mich auf eine andere Bank setzen, aber mir fiel ein, daß Don Juan ausdrücklich gesagt hatte, ich solle dort sitzen bleiben. Ich wandte den Frauen den Rücken zu und hatte sogar schon vergessen, daß sie überhaupt da waren -denn sie waren so still -, als ein Mann vor mir stehen blieb und sie begrüßte. Aus ihrem Gespräch wurde mir klar, daß die Frauen auf ihn gewartet hatten. Der Mann entschuldigte sich für sein Zuspätkommen. Offenbar wollte er sich hinsetzen. Ich rückte zur Seite, um ihm Platz zu machen. Er dankte mir überschwänglich und entschuldigte sich dafür, daß er mir Unannehmlichkeiten bereite. Er sagte, daß sie sich völlig verloren in dieser Stadt fühlten, weil sie vom Lande wären, und daß sie einmal in Mexico City gewesen und beinah im Verkehr umgekommen seien. Er fragte mich, ob ich in Zacatecas lebe. Ich verneinte und wollte unser Gespräch sogleich beenden, aber sein Lächeln hatte etwas sehr Gewinnendes. Er war ein alter Mann, bemerkenswert fit für sein Alter.
    Er war kein Indianer. Er schien ein Gentleman-Farmer aus einer ländlichen Kleinstadt zu sein.
    Er trug einen Anzug und hatte einen Strohhut auf. Seine Gesichtszüge waren sehr fein. Seine Haut war beinah durchsichtig. Er hatte eine hochgewölbte Nase, einen schmalen Mund und einen perfekt gepflegten weißen Bart. Er sah unheimlich gesund aus, und doch wirkte er gebrechlich. Er war von mittlerer Statur und gut gebaut, und doch wirkte er irgendwie schmächtig, beinahe ausgemergelt.
    Er stand auf und stellte sich vor. Er sagte mir, er heiße Vicente Medrano und sei nur für

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