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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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nicht einmal die eigene Person; daß die eigene Person geschützt, aber nicht verteidigt werden solle; und daß ich, indem ich so arrogant zu ihnen war, mich nicht geschützt, sondern verteidigt hätte. Ich war zum Streiten aufgelegt. Ich war ehrlich empört über ihre Maskerade. Ich begann zu schimpfen, aber bevor ich ihnen meinen Standpunkt erklären konnte, kam Don Juan an meine Seite. Er sagte den beiden Frauen, sie sollten meine streitlustige Laune ignorieren, denn es brauche sehr lange Zeit, um sich von dem Müll zu befreien, den ein leuchtendes Wesen in dieser Welt aufsammelt.
    Die Besitzer des Lokals, in das wir gingen, kannten Vicente und hatten für uns ein aufwendiges Frühstück vorbereitet. Sie alle waren bester Laune, aber ich konnte meine Grübeleien nicht verwinden. Dann begann Juan Tuma, von Don Juan aufgefordert, über seine Reisen zu sprechen. Er war ein sachlicher Mann. Ich ließ mich von seinem trockenen Bericht über Tatsachen faszinieren, die mein Begriffsvermögen überstiegen. Am meisten faszinierte mich seine Schilderung gewisser Licht- oder Energiestrahlen, die angeblich kreuz und quer die Erde überzogen. Er sagte, daß diese Strahlen nicht in Bewegung seien, wie alles andere im
    Universum, sondern ein starres Muster bildeten; ein Muster, das Hunderten von Punkten im leuchtenden Körper entspreche. Hermelinda faßte dies so auf, als befänden alle diese Punkte sich in unserem physischen Körper. Juan Tuma erklärte, da der leuchtende Körper sehr groß sei, befänden manche dieser Punkte sich in Wirklichkeit drei Fuß entfernt vom physischen Körper selbst. In gewissem Sinn befänden sie sich außerhalb von uns und wären es doch nicht.
    Sie befänden sich am Rande unserer Leuchtkraft und gehörten daher gleichwohl zum ganzen Körper. Der wichtigste dieser Punkte sei etwa einen Fuß von der Magengrube entfernt, im Vierzig-Grad-Winkel rechts von einer imaginären, direkt von der Körpermitte ausgehenden Linie. Juan Tuma erzählte uns, daß dies ein Zentrum sei, wo sich die zweite Aufmerksamkeit sammle, und daß es möglich sei, sie zu manipulieren, indem man die Luft an dieser Stelle sanft mit den Handflächen streichle. Während ich Juan Tumas Erzählungen lauschte, vergaß ich meinen Ärger.
    Bei meiner nächsten Begegnung mit Don Juans Welt lernte ich den Westen kennen. Er ermahnte mich immer wieder, der erste Kontakt mit dem Westen sei ein höchst bedeutsames Ereignis, denn auf diese oder jene Weise entscheide er darüber, was ich anschließend tun sollte.
    Er machte mich auch darauf aufmerksam, daß es ein anstrengendes Ereignis werden würde, besonders für mich, der ich so steif sei und mich so wichtig nähme. Er sagte, daß man sich dem Westen natürlich in der Abenddämmerung nähern müsse, einer Tageszeit, die schon an sich schwierig genug sei, und daß seine Kriegerinnen des Westens sehr stark, verwegen und regelrecht verrückt seien. Bei dieser Gelegenheit, wenn ich mit dem Westen Bekanntschaft machte, würde ich auch den männlichen Krieger kennenlernen, der der Mann hinter den Kulissen war. Don Juan empfahl mir, äußerste Vorsicht und Geduld walten zu lassen; nicht nur seien die Frauen toll und verrückt, sondern sie und der Mann seien die mächtigsten Krieger, die er kannte. Sie seien, wie er meinte, die höchste Autorität in Dingen der zweiten Aufmerksamkeit.

    Eines Tages beschloß er, anscheinend unvermittelt, daß es Zeit sei, sich auf die Reise zu machen, um die westlichen Frauen zu besuchen. Wir fuhren in eine Stadt im Norden Mexikos.
    Bei Anbruch der Dämmerung hieß Don Juan mich vor einem großen, unbeleuchteten Haus am Rande dieser Stadt anhalten. Wir stiegen aus und gingen zur Haustür. Don Juan klopfte ein paarmal an, Niemand machte auf. Ich hatte das Gefühl, wir wären zur falschen Zeit gekommen.
    Das Haus schien leer.
    Don Juan klopfte weiter, bis er anscheinend müde wurde. Er bedeutete mir, ich solle weiter klopfen. Er befahl mir, ununterbrochen weiterzumachen, weil die Leute, die in diesem Haus wohnten, schwerhörig seien. Ich fragte ihn, ob es nicht besser wäre, später, am nächsten Tag wiederzukommen. Er befahl mir, weiter an die Tür zu klopfen.

    Nach scheinbar endlosem Warten begann die Tür sich langsam zu öffnen. Eine unheimlich wirkende Frau streckte den Kopf heraus und fragte mich, ob ich die Absicht hätte, die Tür einzuschlagen oder die Nachbarn und ihre Hunde aufzuwecken. Don Juan trat vor und wollte etwas sagen. Die Frau kam heraus und

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