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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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solch einem Traum müßten zwangsläufig ganz persönliche Gegenstände sein. »Willst du immer noch kommen?« fragte sie. »Ja«, sagte ich.
    Dann erzählte sie mir noch mehr über die Zwillingspositionen. Im wesentlichen besagte ihre Erklärung, daß ich, wenn ich zum Beispiel von meiner Heimatstadt träumte und auf der rechten Seite liegend zu träumen begonnen hätte, ganz leicht in der Stadt meines Traumes bleiben könnte, wenn ich mich im Traum auf die rechte Seite hinlegte und träumte, daß ich eingeschlafen war. Nicht nur wäre dieser zweite Traum dann zwangsläufig ein Traum von meiner Heimatstadt, sondern es wäre auch ein Traum von denkbar größter Konkretion.
    Sie war überzeugt, daß ich in meiner Traum-Ausbildung unzählige Träume von großer Konkretion geträumt habe, doch versicherte sie mir, daß sie alle nur Zufall gewesen sein konnten. Die einzige Art, absolute Kontrolle über die Träume zu behalten, sei die Befolgung jener Technik der Zwillingspositionen. »Und frage mich nicht, warum«, fügte sie hinzu. »Es geschieht einfach, wie alles andere.«
    Sie hieß mich aufstehen und ermahnte mich noch einmal, weder zu sprechen noch mich von ihr zu entfernen. Sachte nahm sie mich an der Hand, wie ein Kind, und schritt aus, einer Gruppe dunkel abgezeichneter Häuser entgegen. Wir waren auf einer Straße mit Kopfsteinpflaster. Eckige Flußkiesel waren einfach in die Erde geklopft. Ungleichmäßiger Druck hatte für ungleichmäßige Oberflächen gesorgt. Anscheinend waren die Pflasterer den Unebenheiten des Geländes gefolgt, ohne sie erst zu glätten.
    Die Häuser waren große, gekalkte Gebäude, einstöckig und staubig, mit ziegelgedeckten Dächern. Leute schlenderten schweigend umher. Dunkle Schatten im Innern der Häuser machten mir den Eindruck von neugierigen, aber verängstigten Nachbarn, die hinter verschlossener Tür ihre Gerüchte tauschten. Auch sah ich flache Berge rund um die Stadt.
    Im Gegensatz zu allem, was mir beim Träumen sonst passierte, war mein Denken völlig unbeeinträchtigt. Meine Gedanken wurden nicht durch die Macht der Ereignisse im Traum verdrängt. Und meine verstandesmäßige Überlegung sagte mir. daß ich mich in der Traum-Version jener Stadt befinden mußte, in der Don Juan lebte
    aber zu einer anderen Zeit. Meine Neugier war grenzenlos. Ich war tatsächlich mit jener, die dem Tode trotzte, zusammen in einem Traum. Aber war es ein Traum? Sie selbst hatte gesagt, es wäre ein Traum. Ich wollte alles beobachten und über-wachsam sein. Ich wollte alles prüfen, indem ich Energie sah. Ich wurde verlegen, aber die Frau nahm mich an die Hand, wie um mir zu zeigen, daß sie einverstanden war mit mir. Noch immer absurd verschämt, äußerte ich wie mechanisch mit lauter Stimme meine Absicht, zu sehen. Bei meinen Traumübungen hatte ich immer den Satz gesprochen: »Ich will Energie sehen.« Manchmal musste ich es öfter sagen, bis ich ein Resultat bekam. Diesmal, in der Traum- Stadt dieser Frau, und während ich diesen Satz auf gewohnte Art zu wiederholen begann, fing die Frau an zu lachen. Sie lachte ganz wie Don Juan: ein tiefes, unbeschwertes Lachen aus vollem Hals. »Was ist denn so spaßig?« fragte ich, irgendwie angesteckt von ihrer Heiterkeit.
    »Juan Malus kann die alten Zauberer ganz allgemein nicht leiden, und mich im besonderen nicht«, sagte die Frau zwischen Lachanfällen »Um in unseren Träumen zu sehen, brauchen wir nur mit dem kleinen Finger auf den Gegenstand zu deuten, den wir sehen wollen, mehr nicht. Daß er dich aber in meinem Traum losbrüllen ließ, das war seine Art. mir eine Botschaft zu schicken. Ich muß schon sagen, er ist sehr witzig.« Sie machte eine Pause, dann sagte sie im Ton einer Offenbarung: »Wie ein Esel zu brüllen, das funktioniert natürlich auch.«
    Dieser Humor der Zauberer konnte mich immer wieder verblüffen. Sie lachte so sehr, daß sie unfähig schien, unseren Spaziergang fortzusetzen. Ich kam mir dümmlich vor. Als sie sich beruhigt und wieder gefangen hatte, meinte sie, ich könne auf jeden Gegenstand in ihrem Traum deuten, ganz wie ich wolle, auch auf sie selbst.

Ich deutete mit dem linken kleinen Finger auf ein Haus. Es war keine Energie in dem Haus. Das Haus war wie jeder beliebige Gegenstand in einem gewöhnlichen Traum. Ich deutete auf alles mögliche in der Umgebung - mit gleichem Resultat. »Deute auf mich«, forderte sie mich auf. »Du sollst bestätigt finden, daß dies die Methode ist, die Träumer einhalten, um zu

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