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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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Aufbauende und Schöpferische anzueignen. So genannte Wunder der Wissenschaft ließen grässliche Metallbrücken ohne Spaß und Leben entstehen. Im neunzehnten Jahrhundert, jener nüchternen und arbeitsbesessenen Epoche, begannen unsere Romanschriftsteller, gegen die Hässlichkeit zu wettern. Vor dem Jahr 1800 wurden solche Klagen in der Literatur kaum laut. Doch wie hässlich waren die Dinge hundert Jahre später geworden! Dazu der staunende D. H. Lawrence:
    Die wahre Tragödie Englands … ist die Tragödie der Hässlichkeit. Das Land ist so schön, doch das von Menschen gemachte England ist so schrecklich … es war die Hässlichkeit, die den Geist des Menschen im neunzehnten Jahrhundert verriet. Das große Verbrechen der vermögenden Schichten und der Förderer der Industrie in den glorreichen viktorianischen Tagen bestand darin, dass sie die Arbeiter zur Hässlichkeit, Hässlichkeit verdammten … Die menschliche Seele braucht wirkliche Schönheit in noch höherem Maße als Brot.
    Wir haben eine Verpflichtung der Schönheit gegenüber. Wir haben sie verstoßen und zugelassen, dass sie sich in der Gosse krümmt, aber ihre Rache an den Hässlichmachern wird rasch und fürchterlich sein. Die Dinge werden immer hässlicher – genau wie wir. Nachdem die Kleidung im fünfzehnten Jahrhundert einen Höhepunkt an Pracht erreicht hatte, ist sie im Lauf der Zeit zunehmend schlichter geworden. Die fließenden Kurven, die bunten Röcke und Gewänder, die grünen Übermäntel, verziert mit goldenen Vögeln und Kronen, die breiten Ärmel, bestickt »wie eine Wiese«, die Hermelinbesätze, die langen zugespitzten Schuhe, die raffinierten Hüte und reichen Farben wurden im neunzehnten Jahrhundert durch schwarze Zylinder, Rohre und Schornsteine ersetzt: Hüte sahen aus wie schwarze Schornsteine, Hosen sahen aus wie schwarze Schornsteine.
    Die Menschen des Mittelalters waren wie Kinder; sie liebten es, sich herauszuputzen. Sie besaßen keine Hosen, und sie kleideten sich nicht in Schwarz. Dafür hatten sie Ringe an den Fingern und Glöckchen an den Zehen. Die Kurven wurden durch gerade Linien abgelöst. Heutige Kleidung ist Arbeitskleidung. Sportsachen haben sich in den Vordergrund gedrängt. Puritanisches Schwarz ist die Farbe Nummer eins, trotz der endlosen Versuche der Modebranche, ein »neues Schwarz« zu schaffen. Wir müssen wieder ein unpraktisches Element in die Kleidung einführen. Dem Himmel sei Dank für Vivienne Westwood. Dem Himmel sei Dank für die Punks und Hippies, die sich wie die Menschen des Mittelalters und wie Kinder mit fantastischen Farben schmückten.
    Wieder mache ich die Puritaner verantwortlich. Sie lehnten die farbenprächtige Kleidung ab, die im Mittelalter bevorzugt wurde, und führten Schwärze ein. Farbe galt als eitler Firlefanz. Sieh dir die alten religiösen Gemälde an und bewundere die bunte, lebhafte Kleidung. Damals war es Brauch, biblische Gestalten in zeitgenössischer Gewandung abzubilden. Max Weber beschreibt, was dann geschah:
    Hier freilich legte sich die Askese wie ein Reif auf das Leben des fröhlichen alten England. … Der zornige Hass der Puritaner gegen alles, was nach »superstition« roch, gegen alle Reminiszenzen von magischer oder hierurgischer Gnadenspendung verfolgte das christliche Weihnachtsfest ganz ebenso wie den Maibaum und die unbefangene kirchliche Kunstübung. … Das Theater war dem Puritaner verwerflich … Die Begriffe des »idle talk«, der »superfluities«, der »vain ostentation« … waren schnell bei der Hand, um gegen jede Verwendung künstlerischer Motive die nüchterne Zweckmäßigkeit entschieden zu begünstigen. Vollends galt dies da, wo es sich um den direkten Schmuck der Person, z. B. die Tracht, handelte. Jene mächtige Tendenz zur Uniformierung des Lebensstils, der heute das kapitalistische Interesse an der »standardization« der Produktion zur Seite steht, hatte in der Ablehnung der »Kreaturvergötterung« ihre ideelle Grundlage.
    Mit anderen Worten, Heinrich VIII. und nach ihm die Puritaner leiteten eine Revolution der Verhässlichung ein, eine Revolution der Langeweile, der Askese und der Nüchternheit: Lebe wohl, Farbe; hallo, Schwärze. Heinrich und Cranmer und später Protektor Somerset entrissen dem Land die Schönheit, indem sie die Kunstwerke, die seit Hunderten von Jahren ungestört in den Kirchen verwahrt wurden, zertrümmerten oder stahlen: Wandschirme, Altäre, Statuen, goldene und silberne Ziergegenstände, Buntglasfenster, Kreuze

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