Die Kunst, frei zu sein
Dinge her. Es ist gewiss besser, jedes Jahr ein einziges Hemd von hoher Qualität zu kaufen, als fünf billige, die innerhalb von Monaten im Müll landen. Und Dinge, die du selbst herstellst, wie hässlich sie auch sein mögen, sind unweigerlich schöner als Waren aus der Massenproduktion, einfach weil sie Interesse erkennen lassen, selbst wenn sie wackelig und unregelmäßig sind und komisch aussehen.
Heute scheint man alles – ich meine, absolut alles – aus Plastik herzustellen: Züge, Kleidung, Möbel – genau wie Woody Guthrie in seinem Song »Talking Columbia« voraussagte. Weißer Kunststoff bedeckt die Nation wie ein biologisch nicht abbaubares Leichentuch. Plastik ist der Triumph der Quantität über die Qualität, der Fabrik über das Handwerk. Plastik ist kalt, steril, humorlos, giftig, hässlich, verschwenderisch, es verfault und verbrennt nicht; es ist ein stinkendes Nichts aus Öl und Geld. Plastik strahlt Habgier aus wie jener Freund von Bens Eltern in Die Reifeprüfung, der ihm bekanntermaßen rät, in welche Branche er eintreten soll: »Kunststoff, Ben, Kunststoff.« Der Mann, welcher der Welt Tetrapaks verkaufte, häufte ein Vermögen damit an, dass er einen grässlichen Berg nicht verrottenden Abfalls erzeugte. Es ist noch nicht so lange her, dass wir alle prächtige Milchkannen hatten, mit denen wir zum Bauernhof gingen. In manchen Teilen Frankreichs existieren sie heute noch. Lasst uns unsere eigene Welt aus gemeißeltem Holz erschaffen.
Es ist eine fürchterliche Ironie unserer Zeit, dass etwas wie Plastik, das aus den begrenzten Ölvorräten gefertigt wird, billiger geworden ist als Holz, das endlos nachwächst. Mit einigem Einfallsreichtum kann es allerdings auch für wenig Geld erworben oder kostenlos gefunden werden. Wir sammeln Holzstücke in den nahe gelegenen Wäldern und versorgen uns am Strand mit Treibholz. Dann stellen wir Dinge daraus her. Zum Beispiel habe ich einen Spielzeugelefanten aus einem alten Stück Treibholz geschnitzt. Er wird, obwohl nicht gerade elegant, länger überdauern als der Plastikkram unserer Kinder.
Schönheit nährt uns. Anarchie ist Schönheit. Wir sind gegen die grauen Menschen. Wir wollen Dinge schmücken, wie jene fantastischen indischen Wagen, die mit Blumen bedeckt sind. Schönheit muss das Streben nach Ordnung besiegen; Ordnung ist hässlich. Die Nazis waren hässlich, und Florenz ist schön. Das nationalsozialistische Deutschland war eine Bürokratie, und Florenz wurde durch ein föderatives Selbstregierungssystem geschaffen. Damit ist der Beweis erbracht: Die Industrialisierung schuf Swindon, und die mittelalterliche Unabhängigkeit schuf Florenz. Triff deine Wahl.
Individuen oder Gruppen von Individuen haben die Aufgabe, etwas Hässliches schön werden zu lassen. Das wird beispielsweise durch das Skateboardfahren erreicht. Es lässt eine Art Alchemie auf den unsympathischen geraden Linien und Betonwällen der Moderne wirksam werden und verwandelt Parkplätze, Geländer und Unternehmenstreppen in Objekte der Schönheit, der Verheißung und des Vergnügens. Das Skateboarden bringt Schönheit in die Stadt. Mit anderen Worten, du brauchst die Stadt nicht zu verlassen, um ihr zu entkommen, denn du kannst dir deine eigene Stadt schaffen. Dieser Gedanke ist auch im Permakultur-Verfahren der Obst- und Gemüsezucht zu finden: Eine Fensterbank in der vierzehnten Etage kann zu einem Kräutergarten, Brachland zu Schrebergärten werden. Lasst uns die Hochhäuser mit Karotten, Pastinaken und Zwiebeln umgeben. Weg mit den dürren grünen Rasenflächen, welche die Wohnsiedlungen durchziehen. Grab den Boden um, leg einen Gemüsegarten an. Schaff dir deine eigene Stadt.
EIN HOCH
AUF DEN MEISSEL
27
Stürze die Tyrannei
des Reichtums
Tolle querelas
Pauper enim non est cui rerum suppetit usus
Horaz, 65–8 v. Chr.
(Lass ab vom Klagen, Freund; der ist nicht arm,
Wer reichlich hat, was er zum Leben braucht.)
Manchmal glaube ich, dass wir nicht mehr Reichtum,
sondern mehr Armut brauchen. Der Reichtum verursacht
die Probleme und Ungleichheiten.
Satish Kumar
Ich habe nichts – nichts! –, und ich bin begeistert.
Keith Allen
Oberflächlich gesehen ist Geld für den Freiheitssucher sehr attraktiv. Und es kann tatsächlich sehr angenehm sein, Geld zu haben. Es scheint dir Komfort, Behaglichkeit und vor allem Freiheit geben zu können. Freiheit der Bewegung, Freiheit von Einmischung durch andere, Freiheit von unerwünschter Arbeit. Jedenfalls ist das der Fall,
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