Die Kunst, frei zu sein
niedergeschlagenen Mienen der Kassierer und Kassiererinnen, die genauso isoliert voneinander sind. Ich kann mir den Stress der Arbeit an einer Supermarktkasse, das Gefühl der Nutz- und Machtlosigkeit und Langeweile gar nicht vorstellen. Man vergleiche die düsteren, ausdruckslosen Gesichter dieser Angestellten mit denen der lebhaften Markthändler, jener unabhängigen Männer und Frauen, die immer noch von der Maxime »Small is beautiful« überzeugt sind. Sie sind frei, und das spiegelt sich in ihren Gesichtern wider. Wenn ich durch den Leather Lane Market in London gehe, kann ich bei den Händlern Witz und Lebenslust feststellen. Ihre Gesichter sind munter, weil sie die Kontrolle über ihr Geschäft haben.
Die Supermärkte haben uns einen Mythos weisgemacht: Ihre Waren seien billig, praktisch und vielfältig. Aber in Wirklichkeit sind sie teuer, und man ist auf eine von anderen getroffene Auswahl angewiesen. Doch was am schlimmsten ist: Die Supermärkte verurteilen Tausende zu langweiliger Arbeit.
Wie ganz anders waren die Dinge in den frühen Tagen des Handels, als die Gilden Qualität und Preise kontrollierten und die Gewinne nicht für das Gehalt des Firmenchefs, sondern für Feste, Fröhlichkeit, herrliche Gebäude, Kunst und Almosen ausgegeben wurden. Tescos lächerliches Gegenstück zu solchem Gemeinsinn ist das Angebot, »jungen Leuten Arbeit zu geben«, allerdings nur, wenn die Baugenehmigungen für noch mehr Supermärkte erteilt werden.
Also verkauf nichts an die Supermärkte, kauf nichts in ihnen ein, würdige sie keines Blickes. Vergiss sie. Sie sind eine seltsame Verirrung der jüngerenGeschichte, und eines Tages werden wir hoffentlich mit einem milden, verständnislosen Kopfschütteln auf sie zurückschauen und uns fragen, wie wir etwas so Unnatürliches haben zulassen können. Ich würde sie am liebsten bombardieren, aber wahrscheinlich ist es effektiver, einen Boykott über sie zu verhängen.
Das Wunderbare an der Befreiung von den Supermärkten ist die Freude, die wir uns selbst bereiten. Die Alternative besteht nicht darin, uns für ein Geld und Zeit verschlingendes Leben der Selbstverleugnung zu entscheiden und in frömmlerischen, überteuerten Reformhäusern einzukaufen. Vielmehr haben wir die Möglichkeit, einer üppigen Existenz des Genusses, der Leichtigkeit, der Qualität und des stark eingeschränkten Autofahrens den Vorzug zu geben. Lehne den Supermarkt ab und wende dich dem Leben zu.
Kaufe in richtigen Läden ein, wo Besitzer und Personal stolz auf die Dinge sind, die sie herstellen und verkaufen, nicht in Geschäften, wo ausgebeutete Angestellte Schund verhökern. Der Unterschied ist leicht zu ermitteln. Die Ersteren bieten hohe Qualität an und verbinden Fertigung mit Einzelhandel. Der Handwerkshistoriker Norman Wymer malt ein Bild der früheren Verhältnisse in seiner Studie English Town Crafts:
In der Zeit der industriellen Revolution – und noch eine Weile danach – boten die Einzelhandelsläden einer durchschnittlichen Stadt ein ganz anderes Schauspiel, als wir es heute kennen. Viele der feilgehaltenen Waren wurden nicht nur an Ort und Stelle gefertigt, sondern meistens konnte man die Handwerker selbst bei der Arbeit beobachten. Manchmal, wenn die Bedingungen es zuließen, saßen sie, völlig im Blickfeld der Passanten, in ihren Schaufenstern. Doch üblicherweise belegten sie ein Hinterzimmer oder vielleicht einen Raum am Kopf einer wackeligen Treppe unmittelbar über ihrem Laden. Jedenfalls waren sie immer anwesend und bereit, die spezifischen Bedürfnisse eines Kunden zu erörtern und das Produkt in genauer Übereinstimmung mit diesen Bedürfnissen anzufertigen … Von Anfang bis Ende war es ihr Prinzip, stets die beste Ware herzustellen und die Wünsche des Kunden zu erfüllen, selbst wenn dies hin und wieder einen zweiten Versuch und Arbeit für einen kümmerlichen Gewinn oder sogar mit Verlust erforderte. Schon die Handwerkszeichen vor dem Laden – sehr oft von einem lokalen Schildermaler angefertigt – schienen eine Art Garantie für den Stolz zu sein, der gewiss im Innern zu finden war.
Diese Form des Einzelhandels ist noch nicht ganz ausgestorben. In dem Londoner Bezirk Clerkenwell, in der Nähe meines Büros, sitzen Uhrmacher in den Fenstern ihrer winzigen Werkstätten und machen ihre Arbeit. Außerdem gibt es Schneider, gute italienische Delikatessengeschäfte und einen Zauberladen, in dem alle Angestellten vortreffliche Magier sind. Ich arbeitete ein Jahr lang
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