Die Kunst, frei zu sein
fällen, denn das ist völlig belanglos für die Freiheit. Die entscheidende Passage des oben zitierten Textes lautet: »Doch wenn man es recht betrachtet …« Arm zu sein ist nur dann eine Schande, wenn du und die Gesellschaft beschließen, es für eine Schande zu halten. Für eine Bewertung gibt es keine absoluten Maßstäbe, denn einer genauso plausiblen moralischen Einstellung zufolge ist es lobenswert, arm zu sein.
Ohnehin ist Reichtum mit vielen Belastungen verbunden. Da sind die sich zankenden Verwandten und Nachkommen, die Haie, die dich mit großzügigen Angeboten umkreisen und dich um dein Geld erleichtern wollen, die Clubs für Vermögende, die privaten Krankenversicherungen, die Rentenversicherungen und Investmentprogramme.
Wenn ich auf Zeiträume in meinem Leben zurückschaue, in denen ich Geld hatte, wird mir ganz mulmig bei dem Gedanken, wie verschwenderisch ich war.
Die Puritaner setzten den weltlichen mit dem religiösen Erfolg gleich. Wenn du reich warst, wurdest du von Gott begünstigt. Allerdings solltest du dich nicht an deinem Geld erfreuen, sondern es für die Zukunft sparen. Max Weber beschreibt die puritanische Einstellung zum Wohlstand wie folgt:
Der Reichtum ist eben nur als Versuchung zu faulem Ausruhen und sündlichem Lebensgenuss bedenklich und das Streben danach nur dann, wenn es geschieht, um später sorglos und lustig leben zu können. Als Ausübung der Berufspflicht aber ist es sittlich nicht nur gestattet, sondern geradezu geboten. Das Gleichnis von jenem Knecht, der verworfen wurde, weil er mit dem ihm anvertrauten Pfunde nicht gewuchert hatte, schien das ja auch direkt auszusprechen. Arm sein wollen hieße, wie häufig argumentiert wurde, dasselbe wie krank sein wollen, es wäre als Werkheiligkeit verwerflich und Gottes Ruhm abträglich. Und vollends das Betteln eines zur Arbeit Befähigten ist nicht nur als Trägheit sündlich, sondern auch nach des Apostels Wort gegen die Nächstenliebe.
Ich würde die puritanische Haltung, die am Beginn der Passage beschrieben wird, umkehren und behaupten, dass Reichtum nur dann nützlich ist, wenn er dazu dient, »sorglos und lustig leben zu können«. Picasso machte die berühmte Aussage: »Ich möchte leben wie ein armer Mann mit einer Menge Geld«, womit er meinte, dass er es großzügig und freudig ausgeben würde. Für ein Bettlerbankett beispielsweise. So kann man mit einem Vermögen frei leben, während Geld und Besitz für die Puritaner nur eine weitere Bürde waren.
Der üble Methodistenführer John Wesley sagte: »Wir müssen alle Christen ermahnen, so viel zu erwerben und zu sparen, wie sie können, das heißt im Grunde, reich zu werden.« Heute können wir die gleiche Einstellung zum Geld bei der christlichen Rechten in Amerika beobachten. Reichtum bedeutet, dass Gott dich liebt. Das ist genau die gegenteilige Haltung zum Reichtum, die Jesus predigte. Das, wogegen ich mich bei alledem wende, ist nicht der Reichtum an sich, sondern die damit verbundene Rastlosigkeit und Gemeinheit. Wenn du dein Geld als Nebeneffekt einer Tätigkeit erhältst, die dir am Herzen liegt, dann wäre es vermutlich dumm, es zurückzuschicken, wie überzeugt man auch von den heiligen Vorteilen der Armut sein mag. Es jedoch um seiner selbst willen anzustreben – obwohl es weiß Gott ein paar Lasten lindern kann – dürfte gefährlich sein, wenn du wirklich nach Freiheit suchst. Für Burton war der Wunsch nach mehr Geld ein sklavisches Gelüst, und er schrieb über die Kaufleute:
Jedenfalls sind die Habgierigen normalerweise Narren, Schwachköpfe, Verrückte, arme Teufel, die sich selbst verloren haben, keine echte Freude mehr kennen, sondern in ewiger Sklaverei, Furcht, in Argwohn, Kummer und Missmut dahinvegetieren und mehr Bitterkeit als Honig schmecken. Sie besitzen ihr Geld weniger, als es sie besitzt, schreibt Cyprian.
Statt uns um Reichtum zu bemühen, sollten wir versuchen, arm zu sein, indem wir einfach sparsam sind und die Kinkerlitzchen der Konsumwelt ablehnen. Kein Geld zu benötigen, indem man seine Bedürfnisse zurückschraubt, kann die gleiche befreiende Wirkung haben wie kein Geld zu benötigen, weil man eine Menge davon verdient. Hast du einmal gelernt, in einem engen finanziellen Rahmen zu leben, fühlst du dich sehr sicher, weil du dich von dem Wunsch nach mehr und dadurch auch von den entsprechenden Anstrengungen befreit hast. Dieser Weg, dem Geld zu entkommen, hat den großen Vorteil gegenüber dem Vermögenserwerb, dass er
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