Die Kunst, frei zu sein
Menschen hinter ihren Mauern einigen Schutz gefunden oder zu finden geglaubt hatten, errichteten sie ihre »Verschwörungen«, ihre »Bruderschaften«, ihre »Freundschaften«, die zu einer gemeinsamen Idee verbunden waren und kühn sich einem neuen Leben gegenseitigen Beistandes und der Freiheit zuwandten. Es gelang ihnen so gut, dass sie in drei- oder vierhundert Jahren das Aussehen Europas völlig umgewandelt hatten. Sie hatten das Land mit schönen, prächtigen Gebäuden erfüllt, die dem Geiste freier Vereinigungen freier Männer Ausdruck gaben und denen in ihrer Schönheit und Ausdrucksfülle seitdem nichts gleichgekommen ist; und sie hinterließen den folgenden Generationen all die Künste, all die Industrien, in deren Gefolge unsere heutige Zivilisation, mit all ihren Verbesserungen und Versprechungen für die Zukunft, nur eine Weiterentwicklung ist. Und wenn wir jetzt nach den Kräften uns umsehen, die zu diesen großen Ergebnissen geführt haben, dann finden wir sie – nicht im Genie individueller Helden, nicht in der mächtigen Organisation riesiger Staaten oder den politischen Fähigkeiten ihrer Regenten, sondern in eben der Strömung gegenseitiger Hilfeleistung, die wir in der Dorfmark am Werke sahen und die im Mittelalter durch eine neue Form der Vereinigung belebt und neu gestärkt wurde, die derselbe Geist eingegeben hatte, die aber nach neuem Muster gebildet war – die Gilden.
Im Florenz des dreizehnten Jahrhunderts gab es sieben höhere und vierzehn niedrigere Gilden oder arti. Neben den höheren Gilden der Richter und Notare, der Bekleider und Färber ausländischer Stoffe, der Wollhersteller, der Seidenhersteller, der Bankiers und Geldwechsler, der Ärzte und Apotheker sowie der Kürschner bestanden die niedrigeren Gilden der Schlachter, Schuhmacher, Gerber, Baumeister, Ölhändler, Tuchhändler, Schlosser, Waffenschmiede, Sattler, Zimmermänner, Gastwirte, Schmiede, Weinhändler und Bäcker – und alle lebten mehr oder weniger harmonisch in einer Art anarchistischem Staat zusammen, wobei die Oberhäupter der Gilden jeweils zwei Monate lang dem Rat der Stadt angehörten.
Könnten wir heute ähnliche Städte neu erschaffen? Sollte nicht jeder Stadtplaner und Architekt gezwungen werden, das Buch Gegenseitige Hilfe zu lesen? Offenkundig müssen wir eine Stadt mit 50000 Menschen, 50000 Freiheitssuchern, finden, sie mit einer Mauer umgeben, eine unabhängige Republik ausrufen und dann nach den Wünschen der Beteiligten verfahren. Die mittelalterlichen Städte lieferten für Kropotkin den Beweis, dass wir, wenn wir uns selbst überlassen sind, unsere Angelegenheiten viel besser organisieren können als jede Regierung. Der reisende Hillbilly, Punk und Skateboarder William Elliot Whitmore brachte es auf den Punkt: »Wir haben alle dieselben Ideale, und der Durchschnittsbürger ist gut, aber unsere Regierungen bauen nur Scheiße.« Die mittelalterliche Stadtbewegung zeigt uns auch, dass Autorität und Konkurrenz keineswegs unvermeidliche Organisationsprinzipien sind, wie uns manche Stammtischphilosophen weismachen wollen.
Was ich gern sehen würde – und was im mittelalterlichen England existierte –, ist ein Land aus kleinen autonomen Föderationen von Städten, Dörfern, Gemeinden und Siedlungen. Schon der Gedanke, alles zentral organisieren zu wollen, ist absurd, weil er Unterschiede innerhalb des Landes nicht berücksichtigt: unterschiedliche Lebenseinstellungen, Kulturen, Sprachformen, Bräuche, Wetterbedingungen und sogar unterschiedliche Kleidung. Zentralisierung bedeutet Uniformität, die auf Langeweile und schließlich den Tod hinausläuft (siehe Kapitel 2). Stell dir vor, ein kleines Dorf oder eine kleine Stadt mit deinen Kumpeln zu besiedeln und eure eigene freie Gesellschaft zu gründen.
Ich frage mich, welche Änderung oder Krise zu einer neuen westlichen Welt und einer neuen Denkweise führen könnte. In den Siebzigern sprachen alternative Denker fast hoffnungsvoll von einer Ölkrise, doch das Öl scheint immer noch aus dem Boden zu sprudeln. Wann wird es aufhören? Ich persönlich würde eine Ölkrise begrüßen, denn dann würden wir vielleicht zum Holz als Energiequelle zurückkehren. Holz ist endlos erneuerbar, wächst an Bäumen und wird geerntet, nicht abgebaut (mir gefällt sogar die Vorstellung, dass wir uns mit Pferden fortbewegen und mit Schiffen von Land zu Land gelangen). Da die Treibstoffkosten steigen, hat sich die Nachfrage nach lokaler Energie erhöht, und Firmen, die
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