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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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sein. Die Herrschaft der Bourgeoisie durch das Parlament ist die Herrschaft der Starken mit Hilfe der Faden und Schwachen, und durch die so genannte Chancengleichheit droht der grässliche, breiige Strudel, den die puritanischen Mittelschichtparlamentarier geschaffen haben, uns alle in den höllischen Schlamm zu saugen. Die Arbeiterschaft wird ermutigt, sich der Mittelschicht durch Plackerei anzuschließen, und die Mitglieder der Oberschicht werden ermutigt, ihrerseits dumpfe Demokraten zu werden, Arbeitsplätze zu übernehmen und langweilig zu sein!
    Die einstige Einstellung der Arbeiterschaft, wie sie Richard Hoggart in The Uses of Literacy beschreibt, ist positiv, denn sie stellt Hilfsbereitschaft, Vergnügen und Freunde über Arbeit und Karriere:
    Was immer man unternimmt, der Horizont dürfte begrenzt sein. Ohnehin, fügen Vertreter der Arbeiterschaft rasch hinzu, kann man mit Geld niemanden glücklich machen, genauso wenig wie mit Macht. Die »wirklichen« Dinge beträfen das Menschliche und Gesellige: das Zuhause und die Zuneigung in der Familie, Freundschaft und die Fähigkeit, »Viel Spaß!« zu sagen. »Geld ist nichts Wirkliches«, meinen sie, und: »Das Leben ist nicht lebenswert, wenn du dich dauernd für zusätzliches Geld abrackern musst.« In den Liedern der Arbeiterschaft ist häufig von Liebe, Freunden und einem guten Zuhause die Rede; dort heißt es immer, Geld spiele keine Rolle.
    Das scheinen mir gute Werte zu sein, und sie sind in Gefahr, weil alles in die Mittelschicht einbezogen wird. Hoggart verweist auch auf eine lobenswerte Haltung des In-den-Tag-Hineinlebens, die sich von der »Opfere die Gegenwart für die Zukunft«-Gesinnung, also der auf Pensionsplanung ausgerichteten Lebenshaltung der Mittelschicht, abhebt (übrigens brillant durch die Beatles in »She’s Leaving Home« zum Ausdruck gebracht):
    … im Allgemeinen begünstigt der direkte, gegenwartsorientierte Charakter der Arbeiterschaft den unmittelbaren Genuss. Er tritt der Planung für ein künftiges Ziel oder im Lichte irgendeines Ideals entgegen. »Das Leben ist kein Zuckerschlecken«, vermuten sie, aber: »Morgen kommt schon alles in Ordnung.« In dieser Hinsicht sind die Angehörigen der Arbeiterschaft seit langem fröhliche Existenzialisten … Das Vergnügen hat einen hohen Stellenwert, Laken werden geflickt und nicht durch neue ersetzt, so dass genug Geld für das Trinken und Rauchen übrig bleibt …
    Ja, ja, ja! Solange die Kohle heute für Bier und Glimmstängel ausreicht, brauchen wir uns nicht um morgen zu kümmern. Zerrissene Laken und eine Speisekammer voll Bier sind mir lieber als ein Abstinenzler mit neuer Bettwäsche. Auch die hier beschriebene Haltung zur Vorsorge gefällt mir. Und was Zukunftspläne angeht? Schön, wir alle kennen den jüdischen Witz: Wie bringst du Gott zum Lachen? Erzähl ihm von deinen Plänen.
    Wir sollten den Klassenkampf durch Klassenharmonie, Klassenintegrität, Klassenrespekt, Klassenfrieden ersetzen. Wir haben Klasse, aber wir gehören keiner an. Wir können einander helfen und voneinander lernen. Im Allgemeinen mag ich piekfeine Leute. Die aristokratische Tradition sagt mir zu, einfach weil so viele Aristokraten antibourgeois sind. Sie halten nichts von Arbeit oder zumindest nichts von dem, was aus der Arbeit geworden ist. Dort oben gibt es immer noch Platz für Exzentrizität und Andersartigkeit. Sie blicken auf jene herab, die arbeiten müssen, und liegen lieber herum und tun nichts – ein nobles Unterfangen, wie ich hoffentlich oben nachgewiesen habe. Aber sie bringen auch Menschen zusammen und leisten Nützliches in der Gemeinschaft: Sie fördern Künstler, öffnen ihre Türen, veranstalten Feste, sind gastfreundlich und charmant – und all das ist sehr wichtig in einer freien Gesellschaft. Nicht den Bruchteil einer Sekunde lang beneide ich sie um ihr Geld oder um ihre Häuser, denn ich weiß, dass die Häuser und das Geld eine Menge Scherereien mit sich bringen. Aber ich bin ihnen dankbar dafür, dass sie die prächtigen Gebäude und Gärten behüten, und freue mich, wenn ich ihnen gelegentlich einen Besuch abstatten kann.
    Doch unser Groll erschwert uns das Entkommen. Groll kann eine Hürde für die Freiheit sein. Immer wenn ich einen Vortrag über die Vorteile des Nichtarbeitens halte, fragt irgendjemand aus dem Publikum mehr oder weniger höflich nach meiner Klassenherkunft und danach, ob ich ein Privatvermögen besitze. Hier schwingt unausgesprochen mit: »Du hast gut von

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