Die Kunst, frei zu sein
Melancholie, schrieb. Boswell berichtet, der melancholische Johnson habe es »das einzige Buch« genannt, »das ihn je bewog, zwei Stunden früher, als er wollte, aus dem Bett zu steigen«. Seinerzeit war es ein Riesenbestseller und wurde mindestens achtmal aufgelegt, wodurch »der Buchverkäufer ein Landgut erlangte«, wie es in meiner Ausgabe heißt. Wirf das Fluctin weg und kauf dieses Buch.
Der überwältigende Erfolg sollte nicht überraschen, denn das Werk erschien in einer elenden Epoche. Merry England war tot oder lag im Sterben. Burtons Buch, 780 Seiten des vergnüglichsten Kummers und glücklicherweise entstanden, als bipolare Störungen noch Melancholie genannt wurden, erschien ungefähr auf halbem Wege zwischen der Reformation Heinrichs VIII. und der industriellen Revolution, diesen beiden Katastrophen für Liebhaber des Lebens und der Freiheit. Mittelalterliche Werte waren noch verbreitet, doch die Ära der Angst, des Puritanismus, des Individualismus und der Geldgier begann bereits an Einfluss zu gewinnen. Merry England wurde von der neuen puritanischen Mittelschicht aufs Korn genommen. Das Bevölkerungswachstum hatte zu einer massiven Zunahme der Armut geführt. Die Tudors griffen hart durch gegen Bettler und Müßiggänger, umherziehende Musiker und Schauspieler. Cranmer hatte die alten religiösen Feste verboten. Lustbarkeiten an Sonntagen wurden heftig kritisiert. Die Freude wurde aus dem nationalen Leben herausgefiltert. Deshalb darf man annehmen, dass es 1624 mehr melancholische Menschen gab als etwa im fünfzehnten Jahrhundert, als ein solches Buch nicht geschrieben zu werden brauchte. Auch wurde es fast zeitgleich mit Shakespeares Studie der Isolation, Hamlet, und Marlowes Studie des Ehrgeizes, Dr. Faustus, veröffentlicht. Außerdem schrieb Burton es während der großen Ausweitung der Regierungsmacht im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert.
Die Basis für Burtons Buch liefern Tausende von Zitaten aus klassischen Quellen zum Thema Melancholie (weshalb es traditionell von Autoren geplündert wird, die durch lateinische Zitate klug aussehen wollen). Die zitierten Texte lassen vermuten, dass auch die alten Römer und Griechen unter Melancholie litten, was mich nicht überrascht, denn insbesondere die Römer lebten in einer raubgierigen, kriegerischen, ausbeuterischen Oligarchie, ähnlich wie die Briten und die US-Amerikaner heute. Manche von ihnen mochten Gefallen daran gefunden haben, aber für die Masse der Bürger und Sklaven führte diese Situation zu größtem Leid.
Es könnte allerdings ebenso sein, dass die Melancholie unabhängig von äußeren Faktoren einfach zum Leben gehört. Burton sinniert über die Ursachen der Schwermut und merkt an, sie hätten den Menschen wohl seit dem Sündenfall verfolgt. Pech gehabt, scheint Burton anzudeuten, du musst eben damit fertig werden. Melancholie ist Teil der menschlichen Befindlichkeit, seit Gott uns aus dem Garten Eden vertrieb und uns dazu verurteilte, zu graben und zu spinnen:
Es ist [des Menschen] Ungehorsam, Stolz, Ehrgeiz, Zügellosigkeit, Ungläubigkeit, Neugierde, woraus die Erbsünde hervorging und jene allgemeine Verderbnis der Menschheit; wie aus einem Brunnen flossen alle schlimmen Neigungen und Verstöße, die das uns wegen unserer Sünden auferlegte Unheil verursachen … Melancholie ist mithin eine Bestrafung für das Böse: Römer 2,9: »Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun.«
Es gibt also kein Entkommen. Sogar die Klugen, Glücklichen und Wohlhabenden leiden, wie Burton schreibt, unter Melancholie:
[Und] von diesen melancholischen Anwandlungen ist keine lebende Seele frei. Niemand ist ein so vollendeter Stoiker, niemand so weise, so glücklich, so geduldig, so großmütig, so fromm, so göttlich, dass er davon unberührt bliebe. Er mag in bester Verfassung sein, ab und an und manchmal mehr, manchmal weniger, fühlt er doch diesen Schmerz … Auch Q. Metellus, den Valerius als Inbegriff des Beneidenswerten vorstellt und von dem er berichtet, er sei der glücklichste aller Zeitgenossen, geboren im blühenden Rom, edler Abstammung, eine stattliche Erscheinung, gebildet, gesund, reich, ehrenwert, Senator und Konsul, gesegnet mit seiner Gattin, seinen Kindern, konnte sich der Melancholie nicht immer entziehen und hatte sein Maß an Kummer zu erdulden … Für ein Pfund Honig handelt man sich die zehnfache Menge Galle ein, für ein Gläschen Vergnügen einen Krug Leids, für einen Fingerbreit
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