Die Kunst, frei zu sein
Unhöflichkeit. Weihnachten abzuschaffen, was sie 1649 taten, war überaus unfreundlich. Damit nicht genug, die extremsten Puritaner waren so unkultiviert, dass wir am Ende einige von ihnen in die Vereinigten Staaten schickten, wo sie ungeachtet einer vortrefflichen Verfassung eine neue Nation aufbauen konnten, die ihrer Derbheit freien Lauf ließ. Dort drüben setzten sie ihre Schlacht gegen die Freude und das Leben fort, nämlich im Bürgerkrieg, in dem der unhöfliche Norden gegen den liebenswürdigen Süden stand.
Wir alle kennen wahrscheinlich jemanden, auf den folgende Beschreibung der puritanischen Geistesart – aufdringlich, moralisch überlegen, asketisch, humorlos – zutrifft, die der sanfte Bertrand Russell in seinem Essay »The Recrudescence of Puritanism« (Die Wiederkehr des Puritanismus) vorlegte. Jedenfalls ist dies eine gute Kennzeichnung eines britischen Premierministers um die Wende des einundzwanzigsten Jahrhunderts:
Wir müssen lernen, unsere Privatsphäre zu respektieren und anderen nicht unsere moralischen Maßstäbe aufzuzwingen. Der Puritaner bildet sich ein, dass sein moralischer Maßstab der moralische Maßstab ist. Er begreift nicht, dass andere Epochen und andere Länder und sogar andere Gruppen in seinem Land Wertvorstellungen haben, die sich von seinen unterscheiden und die sie genauso vertreten dürfen wie er die seinen. Unglücklicherweise hat die Machtliebe, das natürliche Ergebnis der puritanischen Selbstverleugnung, zur Folge, dass die Puritaner zielstrebiger sind als andere, weshalb es schwierig ist, ihnen zu widerstehen.
Russells Wort »zielstrebiger« ersetze man durch »verdammt rüpelhafter«. Es kann grob sein, Dinge zu tun, weil sie möglicherweise nicht den Wünschen anderer entsprechen. Wer müßig ist, verhält sich in erster Linie höflich. Es ist höflich, nicht zu sehr zu brillieren, es ist höflich, nicht zu erfolgreich zu sein, es ist höflich, nicht zu fleißig zu arbeiten, es ist höflich, andere in Ruhe zu lassen. Der Müßiggänger ermöglicht den Menschen in seiner Umgebung, sich wohlzufühlen, denn er benimmt sich so, als sei er nicht besser, sondern schlechter als sie. Sich so zu benehmen, als sei man besser als andere, lässt einen Mangel an Rücksicht erkennen. Wilder Ehrgeiz ist unhöflich; Homer Simpson ist höflich.
Die Regierung, die als höfliche Einrichtung begann und die Menschen vor der Ausplünderung schützen sollte, hat sich in eine sehr derbe Institution verwandelt, die Menschen umbringt, ihnen vorschreibt, was sie tun und wie sie leben sollen, und die sie bespitzelt. All die Google-Recherchen, die du durchgeführt, und all die E-Mails, die du abgeschickt hast – die Regierung wird sich bald selbst ermächtigen, sie unter die Lupe zu nehmen, wann immer es ihr beliebt. Aber die Menschen haben diese Einmischungen gründlich satt. Unser Briefträger, ein lebenslanger Anhänger der Labour Party, ist außer sich vor Wut über das Vordringen der Staatsmacht in jeden Winkel unseres Lebens. »Sie sind überall«, sagt er. »Du kannst ihnen nicht entgehen!« Computer, Videoüberwachungsanlagen, Kundenkarten – man beobachtet jeden Schritt, den du machst, und alles wird dann in riesigen Datenbänken gespeichert.
Wie die kapitalistische Ethik mit dem Puritanismus heranwuchs, so sind auch Geld und Grobheit enge Gefährten. Manieren weichen vor dem Geld zurück. Wenn du jemandem Geld schuldest, scheint er die Berechtigung erworben zu haben, dich mit größter Verachtung zu behandeln. Wenn du deine Zahlungen an die Kapitalisten aufschiebst, reagieren sie schnell sehr boshaft. Dieselben Personen, die dich umwerben, dir schmeicheln und dich mit viel Geschick verführen, bis du ihnen deine Kreditkartennummer aushändigst oder ihnen eine Einzugsermächtigung erteilst, legen, wenn du ihnen Geld schuldest, plötzlich ihre Höflichkeit und ihren Respekt ab. Noble Manieren fliegen geradezu zum Fenster hinaus, Drohbriefe und einschüchternde E-Mails treffen ein. Nachdem der langjährige Partner meiner Mutter gestorben war, rief sie das Gasunternehmen an und erklärte, sie werde seine Rechnung begleichen, sobald die Erbschaftsformalitäten geregelt seien. Ihr Anruf wurde ignoriert, und ein unaufhörlicher Strom von immer unfreundlicheren Schreiben ergoss sich in den Briefkasten des Toten. Man drohte mit Abschaltung, Gerichtsvollziehern, Vorladungen, Entzug der Kreditwürdigkeit und allen übrigen Zwangsmitteln der modernen Macht. Die Höhe der Rechnung? 34,80
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