Die Kunst, gelassen zu erziehen
sehr viel später. Aus diesem
Grund können sie unsere wohlmeinenden Erläuterungen auch nicht verstehen, sondern interpretieren sie dann in dem Sinne, dass das Wünschen selbst nicht
in Ordnung ist. Besser wäre: »Du hättest gerne 100 Millionen Kekse? Hm, das ist eine ganze Menge – mal schauen, was wir machen können.« Es geht
letztlich nicht um das, was sich das Kind wünscht, sondern dass es sich mit seinem Wunsch angenommen fühlt. Das ist sehr viel wichtiger, als dass der
Wunsch als solcher erfüllt wird. Für den weiteren Verlauf gibt es wieder viele Möglichkeiten, die von der jeweiligen Situation abhängen. In
Elternseminaren zeigt sich immer wieder, dass sich harmonische Lösungen sehr viel leichter finden lassen, wenn ein Kind nicht das Gefühl hat, um seine SOUVERÄNITÄT kämpfen zu müssen, sondern sich rundum akzeptiert weiß. Besonders beim Thema Grenzensetzen ist Achtsamkeit
gefragt. Gerade hier ist es wichtig, die Beziehung an die erste Stelle zu setzen und nicht ein schnelles Ergebnis anzustreben. Natürlich könnten wir
Kinder auch durch Strafe oder Belohnung zu etwas bewegen, aber das würde ihre Seele verletzen.
Grenzen sind kein Allheilmittel
Wenn man sich die Literatur über Grenzen etwas näher ansieht, kann schon der Verdacht entstehen, dass hier durch die Hintertür der Ruf nach Gehorsam wieder laut wird. Es klingt fast so, als würden überall Kinder Amok laufen, weil sie nie Grenzen erfahren haben. Allgemein gesehen scheint es jedoch deutlich häufiger an Einfühlungsvermögen und Verständnis zu fehlen als an Grenzen. Wenn wir uns im Park oder Supermarkt umschauen, sehen wir häufig Eltern, die durch Herum-zerren, Drohungen oder Bestechung versuchen, ihre Kinder dazu zu bringen, das zu tun, was die Eltern wollen. Auch diejenigen Eltern, die tatsächlich alles erlauben und zu fast allem Ja sagen, auch dann, wenn dies nicht sinnvoll ist, handeln NICHT AUS EMPATHIE mit ihrem Kind. Meist steckt Unsicherheit dahinter oder der Wunsch, nicht autoritär zu sein, vielfach aber auch Desinteresse und Bequemlichkeit. In jedem Fall sind Kinder solcher Eltern tatsächlich überfordert. Denn sie haben kein wirkliches Gegenüber, an dem sie sich orientieren können, und sie erfahren auch kein echtes Verständnis. Meist ist ein solches »Ja« auch kein richtiges, sondern ein mehr oder weniger gequältes oder gleichgültiges »Meinetwegen«.
Voraussetzungen für soziales Verhalten schaffen
Der Mensch ist von Geburt an sozial veranlagt. Es ist ein menschliches Bedürfnis, mit anderen verbunden zu sein. Kinder müssen also nicht zu sozialem Verhalten erzogen werden, die Frage ist vielmehr, welche Bedingungen notwendig sind, damit sich dieses VERHALTEN ENTWICKELN kann. Und hier ist die aktuelle Forschung sehr eindeutig: Empathie und Mitgefühl, also Menschlichkeit, entwickeln sich ganz natürlich, wenn Kinder diese erfahren. Sie kann nicht gelehrt, nicht gepredigt und nicht mittels Belohnungen oder Strafen vermittelt werden. Nur wenn Kindern Einfühlung und Menschlichkeit entgegengebracht werden, bekommen diese Qualitäten in ihnen Nahrung und entwickeln sich ganz von selbst. Kinder brauchen also ein häusliches Umfeld, in dem sie sich sicher und angenommen fühlen. Wenn sich Kinder solchermaßen mit ihren Eltern verbunden wissen, ist auch die Wahrscheinlichkeit sehr viel größer, dass sie mit ihnen kooperieren. Das ist letztlich leicht nachvollziehbar. Stellen Sie sich vor, jemand bittet Sie um einen Gefallen. Wenn Sie sich mit dieser Person verbunden fühlen, werden Sie vermutlich nicht lange überlegen, bevor Sie »Ja« sagen. Wenn Sie jedoch das Gefühl haben, dass es sich nicht um eineBitte, sondern um eine verkappte Forderung handelt, und dass man es Sie spüren lassen wird, wenn Sie dieser nicht nachkommen, werden Sie schon sehr viel weniger bereit sein, darauf einzugehen.
Echte Einsicht fördern
Auch Belohnungen oder Bestrafungen (heute nennt man das lieber Konsequenzen – das klingt irgendwie besser, ist aber letztlich meist das Gleiche) sind nicht dazu angetan, soziale Kompetenz zu fördern. Letztlich geht es wieder um die Frage, was unseren langfristigen Zielen am besten dient. Wollen wir, dass Kinder wirklich zu einer Einsicht finden, oder reicht es uns, dass sie aus Angst vor den Konsequenzen von einer Handlung ablassen? Schließlich haben wir keine Garantie, dass sie es nicht doch wieder versuchen, sobald die Gefahr, erwischt zu werden, nicht sehr groß ist. Strafen stärken
Weitere Kostenlose Bücher