Die Kunst, gelassen zu erziehen
also in keiner Weise echte SELBSTVERANTWORTUNG . Nehmen wir an, ein Junge schlägt seinen Bruder und die Mutter sagt: »So, jetzt geh erst mal auf dein Zimmer und denk darüber nach, was du getan hast. Und dann erwarte ich, dass du dich entschuldigst.« Stellen wir uns nun vor, wie dieser Junge in seinem Zimmer sitzt. Was wird ihm durch den Kopf gehen? Ziemlich sicher nicht etwas wie: »Das war wirklich nicht in Ordnung von mir. Ich gehe besser gleich hinunter und entschuldige mich.« Wahrscheinlicher ist, dass er etwas denkt wie: »Doofe Mama! Sie versteht mich sowieso nicht. Immer bekommt dieser kleine Blödmann recht und ich bin schuld. Warte nur, wenn Mama nicht hinschaut!« Was auch immer ihm durch den Kopf geht – es wird nichts auch nur annähernd Sinnvolles sein. Und selbst wenn er sich beugt und äußerlich entschuldigt, wird er mit Sicherheit keine echte Reue empfinden. Weder der Beziehung zu seinem Bruder noch der zu seiner Mutter ist mit einer solchen Konsequenz gedient. Wenn Sie sich mit diesem Thema eingehender befassen möchten, finden Sie in den (leider bisher überwiegend englischsprachigen) Büchern des amerikanischen Pädagogen Alfie Kohn eine Fülle wertvoller Beispiele.
Die Kompetenzen des Kindes fördern
Letztlich geht es um einen Prozess, der von der Erziehung zur Beziehung geht – von der Orientierung am Verhalten zur Orientierung am Bedürfnis. Wenn wir vor allem das Verhalten eines Kindes ändern wollen, greifen wir leicht zu Dressurmethoden – zu Belohnungen, Strafen, Konsequenzen und so weiter. All dies hat vielleicht begrenzten Erfolg, ist aber meist mit nicht unerheblichen Nebenwirkungen verbunden. Und keine dieser Methoden bringt uns unseren langfristigen Zielen näher, nämlich dass unsere Kinder zu selbstständig denkenden, verantwortungsbewussten, sozial und emotional kompetenten, glücklichen Menschen heranreifen. Zu Menschen, die kreativ auf die Herausforderungen des Lebens antworten, statt mit Resignation oder Aggression zu reagieren. Diesen Zielen kommen wir nur näher, wenn wir uns in unsere Kinder EINFÜHLEN , wenn sie ihre Entwicklungsbedürfnisse befriedigen können – wenn wir mit ihnen in Beziehung sind, statt etwas mit ihnen zu machen.
Grenzen anders setzen
Insofern ist die Art und Weise, wie wir eine Grenze setzen, mindestens genauso wichtig wie die Frage, welche Grenzen wir setzen. Es geht weder darum, eine Drohkulisse aufzubauen, noch um lieblich gesäuselte Bitten. Wie gesagt: Kinder möchten mit ihren Eltern verbunden sein. Es ist ihnen kein Bedürfnis, ihre Eltern in den Wahnsinn zu treiben. Zu heftigen Zornausbrüchen kommt es meist dann, wenn sie sich in ihrer Souveränität und Autonomie eingeschränkt fühlen. Oder wenn sie sich einfach schwer damit tun, zu akzeptieren, dass die Welt nicht so läuft, wie sie sich das vorstellen. »Selber« ist ein Wort, das wir in einer solchen Phase häufig hören können. Denn für die menschliche Entwicklung ist das Gefühl, Einfluss auf das eigene Leben zu haben, sehr wichtig. Und dieses Bedürfnis zeigt sich meist besonders stark ab dem zweiten Lebensjahr.
Wenn sich das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit zu äußern beginnt, sprechen viele Erwachsene von der TROTZPHASE . Genau besehen werden in dieser Zeit die Kinder selbstständig und die Eltern trotzig. Letztere erwarten Folgsamkeit, statt das Bedürfnis der Kinder nach Souveränität anzuerkennen und es ihnen entsprechend ihrer Reife zu ermöglichen, selbst über ihr Leben und ihre Aktivitäten zu entscheiden.
Es geht also weder um »Laissez faire« noch darum, die gute alte Disziplin heraufzubeschwören. Denn es ist für die Entwicklung des Kindes weder sinnvoll, wenn wir ihm Entscheidungen überlassen, für die es noch nicht reif ist, noch wenn wir bedingungslosen Gehorsam erwarten. Es geht vielmehr um Ausgewogenheit, um BEZIEHUNG .
Natürlich ist manchmal die Entscheidung von Eltern nötig. Wichtig ist, dass wir dann nicht unsere Macht ausspielen, sondern unser Kind so weit wie möglich miteinbeziehen. Auf diese Weise können Kinder von klein auf die Erfahrung machen, dass sie respektiert werden.
Interpretationen wahrnehmen
Wie wir auf ein Kind oder eine Situation reagieren, hängt in erster Linie davon ab, wie wir diese interpretieren. Und unsere Deutung wiederum ist abhängig von unserer Stimmung. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Handcreme offen auf dem Tisch liegen lassen und Ihr knapp zweijähriges Kind hat entdeckt, welch faszinierende sinnliche
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